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Der diffizile Umgang mit der NS-Erblast der Hinrichtung des Joseph Weiss in den Jahren alliierter Besatzung

Auszug aus der im Rahmen des alliierten Ausländersuchverfahrens im Frühjahr/Sommer 1946 angefertigten Zwangsarbeiterliste der Reichsbahn mit Nennung von Joseph Weiss. Beim 23.4.1945 handelte es sich um den pauschal von der Reichsbahn mitgeteilten Zeitpunkt für das Ausscheiden sämtlicher dort zwangsbeschäftigten Arbeitskräfte. Dass Julietta, geb. Vai, sowie die beiden Kinder Jacques und Gérara zudem mit Geburtsdaten in der Liste bezeichnet sind, ist ungewöhnlich, zumal für die beiden Kinder kein standesamtlicher Geburtseintrag in Ulm existiert. Gleichwohl waren diese Eintragungen für die Recherche nach Hinterbliebenen des Hingerichteten sehr wertvoll.

© Stadtarchiv Ulm, B 122/372 Nr. 7

Auszug aus der im Rahmen des alliierten Ausländersuchverfahrens im Frühjahr/Sommer 1946 angefertigten Zwangsarbeiterliste der Reichsbahn mit Nennung von Joseph Weiss. Beim 23.4.1945 handelte es sich um den pauschal von der Reichsbahn mitgeteilten Zeitpunkt für das Ausscheiden sämtlicher dort zwangsbeschäftigten Arbeitskräfte. Dass Julietta, geb. Vai, sowie die beiden Kinder Jacques und Gérara zudem mit Geburtsdaten in der Liste bezeichnet sind, ist ungewöhnlich, zumal für die beiden Kinder kein standesamtlicher Geburtseintrag in Ulm existiert. Gleichwohl waren diese Eintragungen für die Recherche nach Hinterbliebenen des Hingerichteten sehr wertvoll.

Höchstwahrscheinlich zur Verschleierung der angesichts des Machtwechsels in der Stadt und der französischen Racheaktion von den Tatbeteiligten mutmaßlich nunmehr als äußerst prekär empfundenen Hinrichtungsaktion ließ die Friedhofsverwaltung den Leichnam von Joseph Weiss am 26. Juli 1945 - und somit ein Vierteljahr nach dessen Tötung - im Alten Friedhof exhumieren und im Neuen Friedhof im Grab 800 auf dem für ausländische Kriegsopfer bestimmten Gräberfeld 82 beisetzen. Hier fand Joseph Weiss zusammen mit 743 anderen ausländischen Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern bzw. Ausländern, die während bzw. in Folge des Krieges vielfach aufgrund unmenschlicher und völlig unzureichender Lebensverhältnisse in Ulm verstorben waren, seine letzte Ruhestätte.

Allerdings war sein Tod noch immer nicht standesamtlich beurkundet worden, d.h. es existierte bis zu diesem Zeitpunkt entgegen entsprechender standesamtsrechtlicher Vorgaben noch immer kein Eintrag im Sterbebuch der Stadt Ulm des Jahrgangs 1945. Zweifellos hatten die Mitglieder des Standgerichts von der Racheaktion der Franzosen an den beiden denunzierenden Jugendlichen Kenntnis erhalten und seither zu befürchten, dass auf Betreiben der Franzosen auch sie für die Urteilsverhängung - entweder über einen Willkürakt nach vorangegangenem Beispiel oder auch über ein Gerichtsverfahren - zur Rechenschaft gezogen würden. Somit dürfte sämtlichen Tatbeteiligten daran gelegen gewesen sein, an dem fragilen Sachverhalt nicht weiter zu rühren.
Im Folgejahr kam der Vorgang Joseph Weiss allerdings wieder auf den Tisch und dies keineswegs aus eigenem Antrieb: Die US-Besatzungsmacht beauftragte anhand einer Anordnung vom 8. Januar 1946 die in Ulm ansässigen Behörden mit der Durchführung des alliierten Ausländersuchverfahrens. Die öffentlichen Einrichtungen in der Stadt hatten hierbei das Schicksal und den Verbleib sämtlicher in den Jahren des Zweiten Weltkriegs in Ulm anwesenden "Fremdarbeiter" zu klären und darüber der Militärregierung schriftliche Auflistungen vorzulegen. Damit waren auch Nachweise über die in diesen Jahren hier ums Leben gekommenen Zwangsarbeiter zu erbringen, wodurch der Vorgang Joseph Weiss wieder aufgegriffen wurde.
Im Vollzug des alliierten Ausländersuchverfahrens sendete das Kriminaldezernat der Polizeidirektion Ulm dem städtischen Standesamt am 8. Mai 1946 - und somit über ein Jahr nach der vollzogenen Hinrichtung - eine Sterbefall-Anzeige zu, damit dort der Tod von Joseph Weiss beurkundet würde. Im Schreiben der Kripo hieß es, dass "Weiss … auf Grund eines Urteils eines deutschen Gerichtes wegen Plünderung erhängt" worden war. Entgegen der sonst üblichen Praxis, im standesamtlichen Sterbebucheintrag die Todesursache anzugeben, wurde dies im vorliegenden Fall jedoch unterlassen, was als weiteres Indiz dafür gewertet werden kann, dass man den Vorgang weiterhin verschleiern wollte.