Energiequellen in Ulm im Wandel der Zeit
Muskelkraft, die primäre Energiequelle
Von frühester Zeit bis heute haben die Menschen Arbeitsgeräte zunächst einmal durch eigene Muskelkraft angetrieben. Menschlicher Erfindungsreichtum ersann dabei eine Vielzahl von Geräten, mit
denen entweder die Kraft der Arme (z. B. schon sehr früh mit einer Handmühle) oder die Kraft der Beine (z. B. das seit dem Mittelalter bekannte, durch ein Fußpedal angetriebene Spinnrad) effektiver eingesetzt werden konnte. Bald lernten die Menschen, auch tierische Muskelkraft zum Antrieb von Arbeitsgeräten zu nutzen. Mahlwerke wurden von Tieren bewegt, die in einem Göpel im Kreis herum laufen mussten, vorzugweise von Ochsen, aber auch Eseln, sogar Hunden, am effektivsten von Pferden. Unsere Maßeinheit der Pferdestärke (PS) wurde ermittelt nach der Leistung eines in einem Göpel arbeitenden Pferdes. Diese 1 PS wird allerdings höchstens kurzzeitig erreicht, wenn zudem das Pferd angetrieben wird. Durschnittlich ist eher von einer Pferde-Leistung von 0,7 PS auszugehen, bei einem Ochsen von 0,4 PS, beim Menschen von allenfalls 0,1 PS. Wo es keine Wasserkraft gab, konnte aber nur ein Göpel helfen. Insgesamt war allerdings spätestens ab dem 19. Jahrhundert die Leistung eines Göpels für die meisten aufstrebenden Unternehmen zu schwach. Jahrhundertelang waren auch so genannte Tretmühlen in Gebrauch, die vorzugsweise zum Heben von Lasten eingesetzt wurden. Ohne diese von Tieren betriebenen Kräne wäre der Bau der gotischen Kathedralen, sicher auch des Ulmer Münsters (wofür allerdings keine Belege bekannt sind), undenkbar gewesen. Mancherorts (z. B. in Schwäbisch Gmünd) haben sich diese Kräne in den Türmen der Kirchen bis heute erhalten. Allerdings blieb die Leistung dieser Anlagen begrenzt. Da man beim Bau einer Kirche oben auf dem Turm keine Tiere einsetzen konnte, war man dort auf menschliche Muskelkraft angewiesen. (Mit einem von drei Männern angetriebenen Tretrad hätte man im Mittelalter bei der Vollendung des Münsterturms etwa vier Stunden gebraucht, um eines der vier ungefähr vier Tonnen schweren Einzelteile der abschließenden Kreuzblume von 70 auf über 160 Meter zu heben. Mit einem Gasmotor von 4 PS Leistung schaffte man das Ende des 19. Jahrhunderts immerhin in einer halben Stunde.) Es gelang den Menschen sogar, diese Muskelkraft zu speichern und z. B. in Turmuhren mit Hilfe von Gewichten oder später in Taschenuhren mit Hilfe von Stahlfedern und einem komplizierten System von Hemmungen genau berechnet ablaufen zu lassen.
Die wirtschaftliche Entwicklung einer Stadt hing im 19.
Jahrhundert neben der verkehrsgeografischen Lage wesentlich ab von der zur
Verfügung stehenden Wasserkraft. Damit stand es schlecht in Ulm.
Ulm liegt zwar an der wasserreichen Donau, aber diese war
bis in die Neuzeit als Energiequelle kaum nutzbar. Denn vor allem wegen der
Unberechenbarkeit der Iller war die Gefahr zu groß, dass bei Hochwasser das
Wassserwerk hinweggerissen würde. So war die Blau, an der seit 1351 Mühlen
urkundlich nachweisbar sind und die schon vor 1356 im Oberen Gscheid (vor der
„Blauinsel“) künstlich in zwei Arme geteilt wurde, jahrhundertelang der
hauptsächliche Energielieferant in Ulm. Innerhalb des Stadtgebiets hat sie ein
Gefälle von etwa 10 Metern, der durchschnittliche Durchfluss der Kleinen Blau
von ca. 1.500 Litern in der Sekunde und der Großen Blau von ca. 1.750 Litern
reichte, um mit ihren zwei Armen in 19 Wasserwerken insgesamt 89 Wasserräder
anzutreiben. (Darin eingeschlossen ist der nördliche Stadtgraben zum Antrieb
der städtischen Pumpen und weiterer Wasserwerke.) Damit war allerdings die
Wasserkraft der Blau so gut wie ausgereizt. Im 19. Jahrhundert wurden keine
weiteren Wasserwerke mehr genehmigt. Für aufstrebende Firmen gab es nur die
Möglichkeit, bereits vorhandene Mühlen mit ihrem Wasserrecht in ihren Besitz zu
bringen.
Wegen des relativ geringen Gefälles der Blau waren die Ulmer
Mühlen mit sogenannten unterschlächtigen Wasserrädern ausgerüstet, bei denen
das Wasser unter dem Mühlrad hindurchfließt. Diese Konstruktion hat allerdings
einen geringeren Wirkungsgrad als ein oberschlächtiges Wasserrad. Im
Mittelalter erreichten die Ulmer Mühlwerke höchstens einen Wirkungsgrad von 20
% der möglichen Energie, im 19. Jahrhundert vielleicht von 40 %. Erst mit der
Erfindung der Turbinen und des Zuppinger-Rades mit gebogenen Wasserschaufeln
kam man ab den 1860er Jahren auf einen Wirkungsgrad von etwa 80 %.
Die zugeteilte Wassermenge war von der Stadt genau
festgelegt und über Breite und Seitenhöhe der Wasserrinne reguliert. Trotzdem
kam es zu ständigen Streitereien um die Menge des entnommenen Wassers, vor
allem zwischen der Stadt und den Müllern, die der Stadt immer wieder (zu
Recht!) vorwarfen, dass sie für den Betrieb ihrer Pumpenwerke mehr Wasser
entnahm, als sie offiziell zugab. Das zeigt, dass man schon im Mittelalter
gezwungen war, mit den beschränkten Wasserkräften der Blau sehr sorgsam
umzugehen.
Als die württembergische „Centralstelle für Handel und
Gewerbe“ im Jahre 1862 alle im Land zur Verfügung stehenden Wasserkräfte
auflisten ließ, kam sie auf eine Gesamtbilanz von möglichen 48.000 PS, von
denen allerdings nur 37.000 PS ausgenutzt wurden. Für die Blau ermittelte man
eine Energiemenge von nur etwa 350 PS, die in Ulm zu 100 %, in Söflingen zu 90
% ausgenützt waren. (Im Gegensatz dazu lieferte z. B. die Fils im Oberamt Geislingen fast 850 PS und im OA
Göppingen fast 1.400 PS, die Brenz im OA Heidenheim knapp 900 PS.) Das führte,
neben den Einschränkungen durch die Rayonbestimmungen der Bundesfestung, dazu,
dass viele Ulmer Firmen in ihrer Entfaltung stagnierten oder auch sich
gezwungen sahen, ihre Produktion an andere Orte zu verlagern.
Wegen fehlender Wasserkraft war z. B. die 1835 mit großem
Aufwand gegründete Ulmer Zuckerrübenfabrik zum Scheitern verurteilt. Ein
Ochsengöpel von 0,7 PS Leistung reichte nicht aus zum Betrieb, und die Stadt
hatte einen Stichkanal zur Blau nicht genehmigt, obwohl sie selber mit 5.000 fl
an dem Unternehmen beteiligt war.
Ein ähnliches Schicksal schien Johann Georg Krauß mit seiner
1856 gegründeten ersten moderne Baumwollweberei in Ulm zu drohen, weil die
Wasserkraft seiner Spitalmühle mit ihren 6 PS nur für die Einrichtung von 60
mechanischen Webstühlen reichte und die Firma damit nicht konkurrenzfähig war.
Krauß zog deshalb mit seiner „Mechanische[n] Weberei Ulm“ (MWU) nach Bayern in
eine wesentlich leistungsfähigere Mühle in Ay (heute Stadtteil von Senden), die
er bereits 1850 erworben hatte. Diese wurde über den Mühlbach von der wasserreichen Iller gespeist und trieb bald
über 300 Webstühle an. Seinem Beispiel folgte der Ulmer Messingfabrikant
Philipp Jakob Wieland, der mit den 30 PS seiner Bochslersmühle im
Fischerviertel (am Ausfluss der Blau in die Donau), ebenfalls an seine Grenzen
gestoßen war. Angesichts extremer Trockenheit in den Jahren 1856 bis 1862
erwarb Wieland 1864 von Krauß für den stattlichen Preis von 58.000 Gulden
dessen Wasserkraftwerk am Illerkanal in Vöhringen. Die Investition lohnte sich
für Wieland trotz des hohen Preises, zumal es ihm gelang, die Wasserkraft der
Krauß’schen Mühle noch einmal erheblich zu steigern.
Zur Geschichte der Ulmer Mühlen siehe Mühlen
Angesichts der begrenzten Wasserkraft der Blau mag es
verwundern, dass sich in Ulm die Dampfmaschine trotz ihrer unabweisbaren
Vorteile (v.a. Standortunabhängigkeit) nur sehr zögerlich durchsetzen konnte.
Im Jahr 1846 gab es in Preußen schon 1491 Dampfmaschinen, in Württemberg
dagegen erst 23.
Das lag neben den hohen Anschaffungskosten vor allem an den
hohen Betriebskosten. Geheizt wurde zunächst mit Holz oder - nach dem starken
Anstieg der Brennholzpreise in den 1850er Jahren – mit Torf. Als Kohle stand
nur die stark schwefelhaltige und daher stark rußende Kohle aus dem 170 km
entfernten oberbayerischen Miesbach zur Verfügung, die umständlich und teuer
mit Ochsenkarren herangeschafft werden musste. Auch der Transport mit der neu
eröffneten Eisenbahn war zunächst noch sehr kostspielig. Erst die deutliche
Herabsetzung der Kohlentransportpreise machte ab den 1860er Jahren auch in Ulm
den Betrieb von Dampfmaschinen rentabler. Aber noch im Jahre 1872 erreichten
die 45 in Ulm betriebenen Dampfmaschinen mit ihren zusammen 274 PS erst 80 %
der sowieso beschränkten Wasserkraft der Blau.
Die ersten Ulmer Dampfmaschinen wurden 1847 in der Druckerei
der Gebr. Nübling (erste täglich erscheinende Zeitung, die „Ulmer Schnellpost“)
und 1848 in der Tabakindustrie (Gebr. Bürglen) zum Mahlen von Schnupftabak
eingesetzt. Ab den 1860er Jahren taten dann in vielen Ulmer Brauereien
Dampfmaschinen ihren Dienst. Allerdings musste die Gold-Ochsen-Brauerei (damals
in der Herdbruckerstraße) erst einen vier Jahre dauernden Streit gegen die
Ulmer Müller gewinnen. Diese bestanden unter Berufung auf die Gewerbeordnung
auf ihrem gewinnträchtigen Monopol des Malzschrotens. 1858 entschied aber das
Innenministerium zu Gunsten der Brauerei. Die Leistung dieser ersten
Dampfmaschinen blieb noch bescheiden, ihre etwa 5 PS reichten gerade einmal für
den Betrieb der Umrühr-Aggregate, für Lastenaufzüge oder zum Malzschroten. Die
Anlage des „Löwenbräu“ z. B. glich mit der Grundfläche ihres „Maschinenhauses“
von 3 x 5 Metern wohl eher einem „Warmwassserboiler“ (Haug). Die Dampfmaschinen
dieser Zeit stammten vorzugsweise von der Firma Kuhn in Stuttgart/Berg, später
auch von der Firma Kohllöffel in Reutlingen. Um die Wende zum 20. Jahrhundert
herum kamen in den großen Brauereien wie „Gold-Ochsen“ (1898 im
Veitsbrunnenweg), „Zum Hecht“ (1905 Ecke Wengengasse/Küfergasse) und „Ulmer Brauerei Gesellschaft“ (UBG, später Münster Brauerei, 1908 in der Magirusstraße)
wesentlich größere Maschinen von MAN mit
150 PS und mehr Leistung zum Einsatz, die für den Betrieb der Kältemaschinen
unabdingbar waren.
Weit verbreitet war die Angst vor Dampfmaschinen wegen der
Gefahr von Verbrühungen und Explosionen. Deshalb bedurfte ihre Installation
seit 1853 einer staatlichen Genehmigung. In Ulm ist allerdings nur ein einziger
– folgenloser - Unfall mit einer Dampfmaschine belegt, als es bei einer nur mit
Kitt und Hanf abgedichteten Maschine von 1,5 PS Leistung im Oktober 1853 zu
einer Verpuffung kam.
Ein weiteres Problem waren die Rauch- und Ruß-Emissionen der
Dampfmaschinen. Hier galt zwar die Vorschrift, dass der Schornstein einer
solchen Anlage mindestens 1,5 Meter höher sein musste als die Firsthöhe der
Häuser im Umkreis von 15 Metern. Der Niederschlag von Ruß in der Nachbarschaft
wurde dadurch allerdings kaum verhindert. Die Beschwerden der Anwohner gegen
eine Brauerei in der Frauenstraße hörten erst auf, als der Betrieb auf die
Befeuerung mit weniger rußendem Koks umgestellt werden konnte.
Mit den Dampfmaschinen änderte sich im Laufe der Zeit auch
die Ulmer Industrielandschaft: Diese Betriebe waren nunmehr imstande, ihre
Anlagen von der Innenstadt in den Osten der Stadt (Wieland, Gebr.Eberhardt,
Gebr. Ott, Mayser) zu verlagern und gleichzeitig ihre Produktion erheblich
auszuweiten. Andere Industriestandorte entstanden mit Magirus und Käßbohrer im
Westen der Stadt. Auf das Wasser der Blau war man nicht mehr angewiesen.
Die drei erfolglosen Ansätze zur Einführung einer
Schifffahrtslinie donauaufwärts bis Ulm setzten in den Jahren 1839, 1843 und
1846 selbstverständlich auf dampfbetriebene Schiffe, ein erneuter Versuch im
Juli 1913 war dann allerdings schon mit einem Dieselmotor ausgerüstet. Im Jahre
1902 befuhr sogar ein dampfgetriebenes Automobil die Ulmer Straßen, vermutlich
ein Modell der französischen Firma de Dion-Bouton. Im Mai 1933 erreichte die
erste Elektrolok den Ulmer Bahnhof, dampfbetriebene Lokomotiven verkehrten dort
noch bis 1976.
Nachtrag:
Die
Annahme, dass die erste Dampfmaschine in Württemberg im Jahre 1824 in
einer Ulmer Brauerei in der Hirschstraße installiert worden sei, ist vor
einiger Zeit von Albert Haug, dem profundesten Kenner der Ulmer
Technikgeschichte, mit Recht bestritten worden.
Auch
die Vermutung, in all den Jahren sei in Ulm eine einzige Dampfmaschine
hergestellt worden, und zwar von der Maschinenfabrik Krauß, bedarf wohl der
Nachprüfung.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts erschien Gasenergie
zunächst einmal als eine Möglichkeit zur Beleuchtung, insbesondere der
öffentlichen Straßen, aber auch von Privathäusern, speziell von Gaststätten.
Die Ulmer Stadtväter wurden seit 1845 von führenden Wirtschaftskreisen bedrängt
zum Aufbau eines städtischen Gaswerks und gaben nach längerem Zögern
schließlich nach. Am 29. April 1853 wurde der Bau eines Gaswerks zur
Holzvergasung an der Neutorstraße beschlossen, damals „weit vor der Stadt“.
Nach der Inbetriebnahme am 1. Dezember 1857 flammten zwei Tage später die
ersten Lichter auf. Bald darauf (1862) waren auf den Ulmer Straßen 336
Gaslaternen in Betrieb. Allerdings wurde die Gasbeleuchtung schon bald durch die
elektrische ersetzt. Die letzte Gaslaterne wurde in Ulm 1935 abgeschaltet.
Schnell erwies es sich, dass die Anlage des Werks mit seinen
zwei 510 cbm Gas fassenden Behältern zu klein dimensioniert war. Bereits 1869
wurden täglich 1.700 cbm Gas verbraucht, seit 1864 preisgünstiger aus
Steinkohle gewonnen, so dass ein dritter Gasometer mit einem Fassungsvermögen
von 710 cbm nötig wurde. 1898 kam ein teleskopierbarer Behälter mit einem
Fassungsvermögen von 3.000 cbm hinzu. Seit 1871 wurde auch Neu-Ulm mit Gas versorgt,
seit 1874 auch der Ulmer Bahnhof, der seit 1856 ein eigenes Gaswerk betrieben
und mit seinem Gas auch Privatkunden beliefert hatte. Inzwischen hatte sich das
Gas außer zur Beleuchtung von öffentlichen Bauten im Laufe der Zeit auch in
manchen Privathäusern zum Kochen, Backen und Heizen durchgesetzt (bei einem
Preis von 20 Pfg. pro cbm). Neben etwa 700 bis 800 Kleinabnehmern (die bis zu
3.000 cbm im Jahr verbrauchten) waren im Jahr 1887 die Hauptabnehmer neben dem
Ulmer Museum (mehr als 12.000 cbm) und dem Theater (mehr als 16.000 cbm) die
beiden Bahnhöfe: Ulm mit mehr als 41.000 cbm, Neu-Ulm mit 48.000 cbm Gas.
Den ersten Gasmotor installierte in Ulm 1875 der
Kupferschmied Eck, und zwar ein Modell der Firma Deutz mit einer Leistung von 2
PS. Für 25 Jahre waren Gasmotoren auch für kleinere Gewerbetreibende wie
Schmiede, Schreiner und Druckereien, aber auch Brauereien, Bäcker und Metzger
eine erschwingliche Möglichkeit zur Motorisierung ihres Betriebs (ehe sich dann
ab 1900 sehr schnell der Elektromotor durchsetzte). In der Regel waren
dies kleinere Anlagen mit einer
beschränkten PS-Leistung. Der Gasmotor, der bei der Fertigstellung des Ulmer
Münsterturms in 70 Meter Höhe seinen Dienst tat zur Hebung der tonnenschweren
Steine bis auf über 160 m Höhe, brachte eine Leistung von 4 PS. Nach der
Fertigstellung des Turms beließ man ihn dort und verwendete ihn in Zukunft zum
Antrieb der Münsterglocken und der Blasebälge für die Orgel. Der größte Ulmer
Gasmotor war der 1901 installierte Deutz-Motor der Pflugmaschinenfabrik
Eberhardt mit 40 PS. Auch Wieland verfügte zu dieser Zeit in der ehemaligen
Spitalmühle über einen Gasmotor von 12 PS zur Stromerzeugung.
Die Installation eines Gasmotors war nicht
genehmigungspflichtig, sofern er an das städtische Netz angeschlossen war. Nur
Anlagen zur eigenen Gaserzeugung (sog. Inselbetrieb) mussten genehmigt werden,
wie z. B. die Anlage der Weberei Steiger & Deschler, die aber nur zur
Beleuchtung und zum Heizen diente, während der Antrieb der Maschinen vom
Blaukanal besorgt wurde.
Gegen Ende des Jahrhunderts wurde die Verwendung von Gas zur
Beleuchtung und zum Antrieb von Motoren sehr rasch von der elektrischen Energie
abgelöst. Bereits 1882 ließ Wieland in seinem Vöhringer Werk eine elektrische
Anlage installieren, angetrieben von einer Wasserturbine. Seit 1891 wurde der
Ulmer Bahnhof elektrisch beleuchtet, eine 230 PS starke Dampfmaschine sorgte
für die nötige Energie. Die geplante Einführung einer elektrisch betriebenen
Straßenbahn machte kurz darauf ein zentrales mit zwei 240 und 300 PS starken
Dampfmaschinen betriebenes leistungsstarkes Elektrizitätswerk notwendig, das
1895 an der unteren Olgastraße seinen Betrieb aufnahm. Bereits 1896 wurden
160.000 kWh Strom geliefert, bis 1900 war der Verbrauch auf eine halbe Million
gestiegen. Zu dieser Zeit mussten 3,2 kg Kohle verfeuert werden, um 1 KWh zu
produzieren (1950 waren es noch 0,6 kg, um 1995 noch 0,32 kg).
Mit Hilfe Wielands, der als Vöhringer Fabrikant die
Verhandlungen führte, gelang es der Stadt 1897 auf bayerischem Gebiet die
Illerzeller Mühle zu erwerben und mit zwei je 100 PS starken Turbinen zur
Stromproduktion umzubauen. Die 135 kW Wechselstrom wurden mit einer Spannung
von 5.000 Volt über eine 17 km lange Stromleitung fast ohne Verlust an Energie
in das Ulmer Elektrizitätswerk geleitet und dort (zunächst noch) in Gleichstrom
von 2 x 110 Volt umgeformt. Ulm war damit die erste Stadt, welche die
Übertragung von Strom über eine größere Entfernung für den täglichen Bedarf
anwandte. Diese Technik hatte erst acht Jahre zuvor in einem Test zwischen
Lauffen am Neckar und Frankfurt die relativ verlustfreie Energieübertragung und
damit die Überlegenheit von Wechselstrom über Gleichstrom bewiesen.
Gleichzeitig hatte die Stadt zusammen mit Wieland schon verschiedene Grundstücke
erworben für die Verlängerung des Illerkanals bis zur Donau, wo bei einem
Gefälle von sechs Metern und einem Durchfluss von 123 cbm in der Sekunde 1910
zwei weitere Elektrizitätswerke entstanden. Das E-Werk Ludwigsfeld und das
E-Werk Neu-Ulm (bei der Jakobsruhe) wurden grenzüberschreitend gemeinsam von
den beiden Städten Ulm und Neu-Ulm gebaut und mit je zwei Francis-Turbinen
ausgerüstet für eine Stromproduktion von 300 kW pro Turbine.
Die neue Energieform setzte sich rasch durch, vor allem auch für den
Antrieb von Motoren. Nach einem internen Bericht der Elektrizitätswerke gab es
in Ulm 1910 bereits 7.906 Elektromotoren mit einer Gesamtleistung von 2.114 PS.
Davon standen 17 % in Kleinbetrieben, allerdings mit 35 % der Gesamtleistung.
Zu den Ulmer Wasserkraftwerken siehe auch Wasserkraftwerke an Iller und Donau zur Stromversorgung Ulms
Burckhard Pichon (Oberstudienrat i.R.)