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Hexenverfolgung und Aberglaube

Todesurteil aus dem Urgichtbuch für eine der Hexerei angeklagte Frau

© Stadtarchiv Ulm

Todesurteil aus dem Urgichtbuch für eine der Hexerei angeklagte Frau

Die Hexenverfolgungen in Mitteleuropa fanden vor allem in der Frühen Neuzeit statt mit einem Höhepunkt um die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs. Die Zahl der Opfer wird in Deutschland auf etwa 25.000 geschätzt, davon waren ca. 80 % Frauen. Die Zahl der geführten Prozesse und Verurteilungen konnte je nach Territorium und Herrschaft stark schwanken. Auch zwischen den Reichstädten in Schwaben lassen sich große Unterschiede ausmachen. Während sich z.B. in Rottweil zwischen 1525 und dem Ende des 17. Jahrhunderts 287 Verfahren wegen Hexerei, Zauberei und Magie mit 266 Todesurteilen nachweisen lassen, sind in der Reichsstadt Ulm und dem Ulmer Territorium von 1508, dem Jahr des ersten, bis 1682, dem Jahr des letzten nachweisbaren Prozesses, „nur" 29 Verfahren mit vier Todesurteilen dokumentiert. In Ulm bildete die Zeit zwischen 1612 und 1621 mit zwölf Prozessen gegen 15 Personen, von denen drei hingerichtet wurden, den Höhepunkt. Historiker sehen die Ursache für die geringere Ausprägung von Hexenwahn und Hexenverfolgung in Ulm in der stabilen Herrschaftsordnung und der fortgeschrittenen Bürokratisierung und Verrechtlichung, die sich u.a. in festen und klar geregelten Prozessabläufen und dem Vorhandensein einer großen Anzahl von akademisch ausgebildeten Juristen äußerte.
Voraussetzungen für die Hexenverfolgungen waren u.a. der christliche Glaube an den Teufel als personifizierten Widersacher Gottes sowie ein tief verwurzelter Volksaberglaube, der unerklärliche Phänomene und Unglücksfälle mit dem Wirken übernatürlicher Wesen begründete. Im Stadtarchiv Ulm sind Sammlungen von Segensformeln und Anleitungen für magische Handlungen (Schutzzauber) gegen Krankheiten und allerlei Unglücksfälle überliefert. In einigen Fällen gibt es hier einen Überschneidungsbereich zur Volksheilkunde.
Als Legitimation und damit auch als ein Auslöser der Hexenverfolgung gilt das 1487 in lateinischer Sprache veröffentlichte Werk „Der Hexenhammer" des Dominikaners Heinrich Kramer, das bis ins 17. Jahrhundert hinein in 29 Auflagen erschien. Er beschrieb Existenz und Natur von „Hexen" und gab Handlungsanweisungen für Hexenprozesse. „Der Hexenhammer" warf Frauen Schwäche im Glauben vor, wodurch sie anfälliger für den Teufel seien. Die Hexenverfolgungen endeten in Deutschland unter dem Einfluss der Aufklärung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Schon früher gab es vereinzelt Kritik an den Hexenprozessen. Zu nennen ist z.B. der Jesuit Friedrich von Spee (1591-1635), der die Anwendung von Folter zur Erzwingung von Geständnissen kritisierte, ohne den Hexenglauben selbst in Frage zu stellen. Ein weiterer prominenter Gegner von Hexenverfolgungen war der deutsche Jurist und Philosoph Christian Thomasius (1655-1728), der in seinem 1701 erschienenen Werk „De crimine magiae" die Möglichkeit des Teufelsbündnisses ablehnte.
Der Vorwurf der Hexerei umfasste in der Regel folgende Elemente:
  1. Abschluss eines Pakts mit dem Teufel
  2. Teufelsbuhlschaft, d.h. sexuelle Beziehung zum Teufel
  3. Flug durch die Luft zum sogenannten Hexensabbat, einem geheimen, nächtlichen Treffen mit anderen „Hexen" und dem Teufel
  4. Schadenszauber, eine magische Praxis, mit der Menschen und Tiere entweder geschädigt oder getötet werden sollten. (Die Bevölkerung führte z.B. auch durch Wetterkatastrophen bedingte Missernten oder Seuchenepidemien bei Mensch und Tier auf Schadenszauber zurück. Daher lässt sich oft auch ein Zusammenhang zwischen Krisenzeiten und zunehmender Anzahl von Hexenprozessen herstellen.)
In den Hexenprozessen wurden die Beschuldigten über diese Tatbestände verhört und unter Anwendung von Folter zu entsprechenden Geständnissen genötigt. Oft wurden die Beklagten auch unter Folter über angebliche Mitschuldige befragt, so dass ein Hexenprozess bisweilen eine ganz Reihe weiterer Hexenanklagen zur Folge hatte.
Auf Hexerei stand allgemein der Feuertod. Die Delinquenten wurden jedoch manchmal schon vorher zu Tode gebracht und die Leichen anschließend verbrannt.
Das im Stadtarchiv Ulm verwahrte Urgichtbuch (Urgicht = Geständnis) aus den Jahren 1594-1636 enthält neben zahlreichen anderen Verurteilungen zu Leibes- und Todesstrafen auch Urteile und Geständnisse angeklagter „Hexen". Die Angeklagten wurden vom Diebsturm, dem Gefängnis (in der Nähe des Grünen Hofs, 1807 abgebrochen), auf den Marktplatz zur Urteilsverkündung gebracht. Dort wurde von der Kanzel des Rathauses das Geständnis mit dem Urteil verlesen. Die Niederschriften dieser Urgichten heißen daher auch "Verkündzettel". Anschließend wurden die Delinquenten zur Hinrichtung vor die Stadt geführt: zur Richtstätte (Bereich Wagnerschule, heute: Hans und Sophie Scholl-Gymnasium) bei Tod durch das Schwert bzw. zum Hochgericht (Galgenberg) bei Tod durch den Strang.
 
Matthias Grotz (Stadtarchiv Ulm)