Exulanten in der Herrschaft Wain

© Stadtarchiv Ulm
Inneres der Kirche St. Michael in Wain mit Exulantentafel
Noch heute leben in Wain und im benachbarten Balzheim zahlreiche ihrer Nachkommen, und die Erinnerung an die ehemalige Herkunft ist immer noch sehr lebendig.
So wurde am 28. Januar 1651 den Bewohnern der Kärntner Grafschaft Ortenburg durch den Pfleger in Afritz eröffnet, dass sie innerhalb von vier Wochen sich „zur Heiligen Religion durch wirkliche Priester und Kommunion bequemben oder innerhalb solcher Zeit das Land quittieren und räumben sollten.“ Die meisten von ihnen verließen noch im Verlauf desselben Jahres ihre Kärnter Heimat. Viele dieser in einem umfangreichen Protokollbuch verzeichneten Namen finden sich dann kurz darauf in den Büchern der Pfarrei Wain.
Es ist nicht mehr festzustellen, wie diese Kärntner Bauern darüber informiert worden waren, dass sie in der Ulmer Herrschaft Wain willkommen sein würden. Allerdings findet sich im Wainer Taufbuch schon für das Jahr 1646 der Eintrag für die Kärntner Herkunft der Familie des Täuflings und seines Paten. Möglicherweise hatten sie die Verbindung zu ihrer alten Heimat aufrecht erhalten und einen entsprechenden Hinweis weitergeleitet.
Die Auswanderer durften zwar ihr Vermögen behalten, bis auf die auch sonst übliche „Abfahrt“ (=Aufgabe des Lehensverhältnisses) von 10 %, mussten aber wegen der Kürze der Zeit und dem Überangebot ihre Höfe weit unter Wert losschlagen. Neben begüterten und weniger begüterten Bauern wagten auch Unvermögende einen neuen Start in der Fremde, Mägde, Knechte, Dienstboten, Hirten und sogar Bettler. Der älteste Auswanderer mag wohl jener Greis gewesen sein, der im Jahr 1662 hochbetagt mit 95 Jahren in Wain starb.
Die Abendmahlsregister verzeichnen zu Pfingsten 1651 zum ersten Mal fünf Kommunikanten aus Kärnten. Am 20. Juli 1651 heiratete das erste aus Afritz in Kärnten stammende Paar.
Bereits am 1. August 1649 hatten die beiden aus der Steiermark stammenden Brüder Philipp und Georg Walcher – Vorfahren eines Zweigs der noch heute in der Gegend ansässigen zahlreichen Walchers - den Hof zu Dürach für nur 25 Gulden erworben. Davon waren fünf Gulden sofort zahlbar, der Rest wurde in vier weitere Jahresraten gestundet. Im folgenden Jahr wurde ihnen die Abgabe der fälligen Gült (=die Abgabe an den Lehensherrn) bis zur nächsten Ernte gestundet. Vom Wainer Vogt wurde den beiden Brüdern ausdrücklich bestätigt, dass sie den Hof gut instand gesetzt hätten. Daraufhin war der Rat auch bereit, ihnen wegen ihrer Ernährungslage auf ihre Bitte hin eine zusätzliche Lohneinkuft zu erlauben: nämlich das Fällen von 25 – 30 Klafter Holz und dessen Weitertransport illerabwärts nach Ulm. Auf diese Weise konnte einer der Brüder, der inzwischen (1651) den Oberen Fürbachhof übernommen hatte, auch ein Darlehen von 30 Gulden für den Neubau eines Hauses und die Wiederherstellung des Stadels abverdienen.
In moralischen Dingen ließ der Rat allerdings weniger mit sich spaßen: Zunächst einmal mussten die Brüder aus ihrer steirischen Heimat den Nachweis ihrer ehelichen Geburt erbringen. Als sich später herausstellte, dass Georg Walcher mit seiner Frau seit Jahren ohne den Segen der Kirche zusammen lebte, wurde er ins Gefängnis gesteckt, musste Urfehde (=Versprechen, sich für die Verfolgung und Bestrafung des Vergehens nicht rächen zu wollen) schwören und versprechen, seine Frau wirklich zu heiraten. Dies tat er, und daraufhin wurde ihm auch die verhängte Strafe erlassen. Der Rat fühlte sich ganz im Denken der Zeit für einen tadellosen Lebenswandel seiner Untertanen verantwortlich: Ein Mitbewerber um den Fürbachhof war deshalb nicht zum Zuge gekommen, weil er und sein Weib stets fluchten und schworen und „daher kein Glück und Stern haben könnten“.
Noch heute leben zahlreiche Nachkommen der einstigen Exulanten in Wain und Balzheim, auch ihre Namen haben sich teilweise erhalten, z.B. Walcher, Schließer, Unterweger, Wipfler und Neuhauser. Bekannt sind auch die „Lutherischen Würste“, deren Rezept die Kärntner einst mitgebracht haben. Regelmäßig wird in mehrtägigen Veranstaltungen, Festschriften und Theaterstücken an die eigene Geschichte erinnert. Stets gegenwärtig ist die „Exulantentafel“ in der Wainer Michaelskirche mit der Darstellung des Auszugs Abrahams von Haran nach Kanaan, welche bereits 1658 vom Ulmer Stadtrat gestiftet wurde. Auch der neugeschaffene Wainer Dorfbrunnen erinnert an dieses Kapitel der eigenen Geschichte.
Seit 1972 hat Wain eine offizielle Partnerschaft mit der Kärntner Bergbauerngemeinde Arriach, dem Herkunftsort vieler der Exulanten.