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Protestantische Glaubensflüchtlinge aus den habsburgischen Erblanden

Frühe österreichische Glaubensflüchtlinge um 1600

Die reformatorische Bewegung hatte die habsburgischen Erblande bereits um 1520 erfasst. Rasch verbreitete sich das lutherische Bekenntnis. Die katholischen Obrigkeiten versuchten dem energisch entgegenzusteuern, übten Druck auf Sympathisanten und Anhänger aus und scheuten auch vor Ausweisungen nicht zurück.
Zu den ersten österreichischen Glaubensflüchtlingen, die in Ulm Aufnahme fanden, gehört der aus Graz vertriebene evangelische Prediger Johann Seiz.1599 gewährte ihm der Ulmer Rat zusammen mit seinem „Weib und Kindern“ auf ein halbes Jahr sich in der Stadt „haushäblig [= ansässig] aufzuhalten“. Seiz wie auch seine nachfolgenden protestantischen Glaubensbrüder wurden von den katholischen Obrigkeiten „ um der Religion willen“ oder wie es auch manchmal in den Quellen heißt „ um des Wort Gottes willen“ , aus ihren österreichischen Heimatorten vertrieben. Als erste mussten diejenigen gehen, die ein Amt in ihrer Kirche ausübten. So überrascht es nicht , dass die ersten fünf Glaubensflüchtlinge in Ulm, die der Ratsprotokollregisterband unter dem Betreff „Exulanten Wohnungen allhier ad Tempus“ (siehe Material 2) für die Frühphase um 1600 ausweist, evangelische Praedikanten oder – wie es dort auch heißt – „Kirchendiener“ waren. Es waren durchwegs nur Einzelpersonen bzw. Familien, die Zuflucht in der Stadt suchten. Sie kamen u.a. aus der Steiermark, aus Kärnten oder auch aus dem Land ob der Enns und sie erhielten vom reichsstädtischen Rat das Wohnrecht in der Stadt für eine begrenzte Zeit, manchmal etwas unpräzise für eine „zeitlang“, dann konkreter für ein bis vier Wochen oder auch noch länger für ein Vierteljahr oder ein halbes Jahr, bisweilen sogar mit dem Anspruch auf Verlängerung. Immer aber blieb es eine beschränkte Aufenthaltsgenehmigung. Sie sollte dem Aufgenommenen vor allem soviel Zeit geben „biß er“ – wie es in einer Aufenthalterlaubnis von 1603 einmal heißt –„entzwischen sehen möge, wohin uß er sich begeben wölle“.
Die Anzahl der in der Stadt aufgenommen Glaubensflüchtlinge war in diesen Jahren um 1600 überschaubar. Insgesamt waren es 14 Personen, die der oben genannte Registerband für die Zeit von 1599 bis 1604 unter den „Exulanten“ verzeichnet. Auch in den folgenden Jahrzehnten bis 1630 kam es zu keinem größeren Andrang von österreichischen Glaubensflüchtlingen in der Stadt, die zunehmend zum Zielort für protestantische Glaubensflüchtlinge auch aus anderen Regionen wurde. Die Gründe liegen auf der Hand: Ulm war eine führende evangelische Reichsstadt, hatte ein mächtiges Territorium und war zudem noch verkehrstechnisch gut erreichbar.

Als 1628 / 29 protestantische Adelige ihre österreichische Heimat verlassen mussten, entschieden sich einige Familien für Ulm. So konnte sich in Ulm – wie Werner Wilhelm Schnabel (Österreichische Exulanten in oberdeutschen Reichsstädten) schreibt – „ in den frühen dreißiger Jahren [des 17. Jahrhunderts] eine Exulantengemeinde kleineren Ausmaßes etablieren, die in aller Regel adliger Abstammung war“. Von Dauer war diese „Gemeinde“ allerdings nicht. 1631 und in den folgenden Jahren zogen einzelne Familien von Ulm nach Nürnberg oder Straßburg, andere kamen dagegen wieder hinzu. Für eine endgültige Niederlassung in der Stadt entschieden sich letztlich nur wenige. 1643 – so Schnabel - “waren unter den 193 Beisitzern, die die Stadt [...] beherbergte, nur sechs österreichische Familien von Adel und ein emigrantischer Arzt.“
Einen großen Zuzug von bäuerlichen Emigranten erlebte dann nach dem Dreißigjährigen das Ulmer Territorium mit der Ansiedlung von protestantischen Glaubensflüchtlingen in der Herrschaft Wain (siehe: 1.2 Exulanten in der Herrschaft Wain).

Dr. Gebhard Weig (Stadtarchiv Ulm, i.R.)