Bereits in den 1950er Jahren wäre ohne die Arbeitskraft der Flüchtlinge und Vertriebenen in der BRD ein Arbeitskräftedefizit entstanden. „Wirtschaftswunder“ und Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen begünstigten sich wechselseitig. Doch bereits für diese Frühphase beschreibt Ulrich Herbert in seiner "Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland" ein „chauvinistisches Überlegenheitsgefühl“ der Einheimischen gegenüber den „Fremden“; der soziale Aufstieg der deutschen Arbeitskräfte erfolgte teilweise in deren Wahrnehmung durch eine „Unterschichtung“ der fremden Arbeitskräfte aus den ehemaligen Ostgebieten. Hier zeichneten sich bereits Parallelen zur Wahrnehmung der späteren ausländischen Arbeitskräfte ab. Erleichtert wurde die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen nach Herbert durch die fehlende „doppelte Unterprivilegierung als Arbeiter und Fremde“ und ihre unmögliche Rückkehr in die Heimat.
Mitte der 1950er Jahre kam es aufgrund von Landflucht, starkem Wirtschaftswachstum und der Einführung der Wehrpflicht zu ersten Überlegungen, 100.000 – 200.000 italienische Arbeiter für den Agrarbereich anzuwerben. Am 22. Dezember 1955 wurde das Anwerbeabkommen zwischen Italien und Deutschland unterzeichnet. Dieses hatte Mustercharakter für alle weiteren Anwerbeabkommen: Die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit wählte gemeinsam mit der italienischen Arbeitsverwaltung Arbeitskräfte aus und wies diese dann den Anforderungen der Betriebe gemäß den Arbeitgebern zu. Die Gewerkschaften erreichten über einen Mustertarif eine tarif-, sozial- und rechtspolitische Gleichstellung der ausländischen Arbeiter um einen Lohndruck auf die deutschen Arbeitnehmer zu vermeiden. Anträge auf Familiennachzug sollten, sofern eine angemessene Wohnung vorhanden war, von den Behörden „wohlwollend“ geprüft werden. Presse und Regierungsbehörden sahen das Anwerbeabkommen als eine „vorübergehende Deckung in Spitzenzeiten“ an.
In den 1960er Jahren verursachten der Mauerbau, die Senkung von Arbeitszeit und Renteneintrittsalter sowie die geburtenschwachen Nachkriegsjahrgänge bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum eine Lücke in der Zahl der Erwerbstätigen, welche ebenfalls durch ausländische Arbeitskräfte ausgeglichen werden sollte. Arbeitsminister Blank schloss im März 1960 nach dem Vorbild des Abkommens mit Italien Verträge mit Spanien und Griechenland. Weitere Anwerbeabkommen kamen 1961 mit der Türkei, 1964 mit Portugal und 1968 mit Jugoslawien zustande. Da der Bedarf unumstritten war, fand eine öffentliche Debatte praktisch nicht statt. „Kurzfristigkeit“ war das Schlüsselwort bei allen Beteiligten, sowohl bei der deutschen Regierung und Wirtschaft wie auch bei den ausländischen Arbeitern selbst. Diese waren zwischen 20 – 40 Jahre alt, hatten eine starke Heimatbindung und waren fest überzeugt, wieder in ihre Heimat zurückzukehren.
Diese erste Generation war aufgrund dieser Kurzfristigkeit bereit, alle Arten von teilweise gefährlicher und körperlich harter Arbeit anzunehmen und zahlreiche Überstunden zu leisten. Gleichzeitig hatte sie an politischem und gewerkschaftlichem Engagement kein Interesse. Die Ansprüche der Angehörigen der ersten Generation in Bezug auf Konsum, Wohnraum und Lebensstandard waren sehr niedrig – alles war dem Ziel untergeordnet, schnell viel Geld zu verdienen und dieses in die Heimat zu schicken. Dieses Gastarbeiter - „Subproletariat“ ersetzte fehlende deutsche Arbeitskräfte in den unteren Bereichen der Arbeitsplatzhierarchie und machte so einen sozialen Aufstiegsschub deutscher Arbeitnehmer möglich.
In den Ulmer Statistiken des Jahres 1961 wurden „Ausländer und Staatenlose“ nach Nationalitäten getrennt erfasst. So wuchs die Zahl der Ausländer in Ulm insgesamt von 895 im Jahr 1957 auf 2.425 im Jahr 1961 an. Die größte Gruppe bildeten in Ulm noch im Jahr 1957 die Österreicher, ihre Zahl wuchs auf 347 Personen an. Polen und Ukrainer aus Polen waren im Jahr 1957 noch die zweitgrößte Gruppe mit 110 Personen. Ihre Zahl war aber bis 1961 auf 80 abgesunken. Enorm stark gewachsen waren die Zahlen dagegen bei den in Ulm lebenden Italienern: Von 79 Personen im Jahr 1957 stieg deren Zahl bis im Jahr 1961 auf 1.102.
1962 lebten etwa zwei Drittel der Gastarbeiter in Gemeinschaftsunterkünften unter denkbar schlechten Bedingungen. Private Wohnungsvermieter sahen eine Übervorteilung von ausländischen Arbeitskräften weitgehend als „Kavaliersdelikt“ an, während diese wiederum billige Unterkünfte suchten und sich nicht zur Wehr setzten.
Seit der Mitte der 1960er Jahre trat erstmals Fremdenfeindlichkeit gegenüber Gastarbeitern als öffentliches Phänomen auf. Die NPD (welche zwischen 1966 und 1968 in sieben Landtage einzog) benutzte ausländerfeindliche Parolen in größerem Stil. In einer Presseuntersuchung gaben 51% der Befragten an, „eher gegen“ das Anwerben ausländischer Arbeitskräfte zu sein.
Mit einem Anstieg der Aufenthaltsdauer sowie der steigenden Familiennachzugsrate unter Gastarbeitern in den 1970er Jahren veränderte sich die Debatte über Vor- und Nachteile der Ausländerbeschäftigung in Deutschland. Die Auswirkungen der Ölkrise verstärkten Vorbehalte gegen die Ausländerbeschäftigung (Anspruch an Sozialkassen, Kinder im erwerbsfähigen Alter, Sinken der regionalen Mobilität). Am 23. November 1973 wurde schließlich ein Anwerbestopp verhängt.
Trotz dieses Anwerbestopps wuchs die Zahl der in Deutschland wohnenden Ausländer, 1980 lag diese um eine Million höher als 1972. Auch der Frauenanteil wuchs. Mit dem Wandel vom „Gastarbeiter“ zum „Migranten“ erwuchsen langfristige und kostenintensive soziopolitische Probleme in der BRD – aber auch in den Heimatländern der Arbeitsmigranten.
Die Zahl der in der Stadt Ulm wohnenden Ausländer war von 10.121 im Januar 1973 auf 12.587 im Dezember angewachsen. Auch die einzelnen Stadtteile wurden jetzt mit dem jeweiligen Ausländeranteil in Prozent dargestellt. Der zahlenmäßig höchste Anteil an Ausländern war in Ulm Mitte, vor allem in der Karlstraße ansässig.
1976 sah das Arbeitsministerium Problemfelder der Ausländerpolitik in den Bereichen Wohnsituation, Arbeit und Arbeitsmarkt, Familiennachzug und „Zweite Generation“ sowie im Verhältnis zwischen Deutschen und Ausländern. Problemverschärfend wirkte die regional stark unterschiedliche Ausländerquote, welche 1973 in Baden – Württemberg bei 16,5% lag. Vor allem in den städtischen Ballungsräumen wie Stuttgart waren bis zu 26,5% aller Beschäftigten Ausländer.
In den folgenden Jahren ergeben sich aus den Erhebungen im Statistischen Jahrbuch vor allem zwei interessante Befunde: Die Zahl der ausländischen Ulmer stieg weiter an, im Jahr 2010 leben in Ulm insgesamt 20.464 Ausländer. Doch innerhalb dieser Gruppe fand eine starke Diversifizierung statt. Während im Jahr 1957 die Aufzählung der Herkunftsländer ausländischer Ulmer nicht einmal eine halbe Seite füllte, hat diese Statistik jetzt einen Umfang von drei Seiten. Die Gruppe „Andere“ bildet mit 34% nun den größten Anteil.
Die Verteilung ausländischer Ulmer auf die Stadtteile zeigt, dass Wahrnehmung und statistische Befunde im Bezug auf den Ausländeranteil bestimmter Stadtteile nicht übereinstimmen. Während allgemein Wiblingen als der Stadtteil mit dem höchsten Ausländeranteil wahrgenommen wird, weisen die Ulmer Weststadt und der Eselsberg im Jahr 2010 tatsächlich höhere Zahlen bei der ausländischen Wohnbevölkerung auf.
Tiziana Valdini (Anna-Essinger-Gymnasium)