Jüdische Schule
Die
rechtliche Emanzipation und der wirtschaftliche und gesellschaftliche Aufstieg
der deutschen Juden im 19. Jahrhundert ging einher mit ihrem
Bildungsaufschwung. Zunehmend erhielten sie auch Zugang zu akademischen
Berufen. Die württembergische Ministerialbürokratie übernahm in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts auch die Aufsicht über die jüdische Schulbildung
sowie über die Ausbildung jüdischer Lehrer und Kantoren. Jüdische Schülerinnen
und Schüler waren in das allgemeine Schulsystem integriert. Dies blieb so bis
zum Beginn der NS-Herrschaft. Im April 1933 wurde mit dem so genannten „Gesetz
zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ die Voraussetzung zur Entlassung
jüdischer Lehrkräfte aus dem Staatsdienst geschaffen, die Zahl jüdischer
Schülerinnen und Schüler sowie Studierender wurde auf Grundlage des
"Gesetzes gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen"
beschränkt. Der Anteil „nichtarischer“ Schülerinnen und Schüler bei den
Neuaufnahmen an Schulen (mit Ausnahme der Pflichtschulen) wurde auf 1,5%
begrenzt (Ausnahmen gab es u.a. bei Kindern von Frontkämpfern). Eine größere
Anzahl jüdischer Kinder konnte vorläufig weiter die bisherige Schule besuchen.
Allerdings waren sie zunehmend der Diskriminierung durch Schulverwaltung
(Ausschluss von schulischen Veranstaltungen usw.), Lehrkräfte (Gewalt und
Diskriminierung) und Mitschüler (Demütigungen) ausgesetzt.
Eine
grundlegende strukturelle Änderung zeichnete sich 1935 ab. In diesem Jahr der
Inkraftsetzung der Nürnberger Gesetze wurde per Erlass reichsweit eine
„Rassenerhebung“ an öffentlichen Schulen durchgeführt (M1). Ziel war die
endgültige „Rassentrennung“ und der Ausschluss jüdischer Schülerinnen und
Schüler von den öffentlichen Schulen. Ostern 1936, mit Beginn des kommenden
Schuljahres, sollten allerorten so genannte „Judenschulen“ entstehen.
Entsprechende Maßnahmen wurden auf Reichsebene eingeleitet.
In Ulm
hatten, wie andernorts, die Überlegungen in dieser Hinsicht bereits eingesetzt.
Rektor Häcker von der Ulmer Wagnerschule trat hier in besonderem Maße als
Befürworter der „Rassentrennung“ in Erscheinung. Bereits im Juli 1935 unternahm
er diesbezügliche Vorstöße bei der Stadtverwaltung und Partei. Er führte aus,
der Kampf gegen das Judentum könne nur dann erfolgreich sein, „wenn die ganze
deutsche Jugend in planmäßiger und eindringlicher Weise über die Gefahren, die
dem deutschen Volke von seiten der Juden drohen, vom 1. Schuljahr an belehrt
wird“. Das Vorhandensein jüdischer Schülerinnen und Schüler in den Klassen der
evangelischen Volks- und Mittelschulen hemme, so Häcker, die Lehrkräfte in
diesem „Aufklärungsfeldzug“ (M2). Nach Aufforderung zur „Rassenerhebung“
lieferte Schulvorstand Häcker die gewünschten Schülerzahlen. Im Jahr 1936 wurde
dann die jüdische Volksschule eingerichtet. Ihr Standort war direkt neben der
Synagoge, im Haus Weinhof 3. Als Lehrer wurde 1936 der aus Saarbrücken
zuziehende Rudolf Loewy angestellt, der zugleich auch als Kantor amtierte. Eine
konsequente Verbannung jüdischer Schülerinnen und Schüler aus den öffentlichen
Schulen wurde schließlich nach der Reichspogromnacht per Erlass des
Reichserziehungsministers vom 15. November 1938 durchgesetzt. Schulunterricht
für jüdische Kinder war von da an nur noch in rein jüdischen Schulen zulässig.
Aufgrund von Verfolgungsdruck und Abwanderung sank freilich die Schülerzahl.
1939 wurde die jüdische Schule in Ulm geschlossen. Zum 30. Juni 1942 wurden
alle jüdischen Schulen im Reich endgültig geschlossen. Ab 1. Juli 1942 wurde
jedwede Beschulung jüdischer Kinder untersagt.
Thomas Müller (Schubart-Gymnasium)