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Schulwesen nach 1945

Ruine des Gymnasiums und der Oberrealschule (Kepler-Oberschule) an der Olgastraße, 1948

© Stadtarchiv Ulm

Ruine des Gymnasiums und der Oberrealschule (Kepler-Oberschule) an der Olgastraße, 1948

Mit dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft stand das Bildungswesen vor umfassenden Herausforderungen: Elementare Mängel kennzeichneten die Lage. Die Demokratisierung verlangte einen grundlegenden Neuaufbau. Es fehlte Schulraum, Ausstattung, Lehrmaterial und an politisch unbelasteten Lehrkräften.
Im Nachkriegsdeutschland herrschten sehr unterschiedliche Vorstellungen vom Wiederaufbau des Schulwesens. Den Alliierten lag daran, in ihrer jeweiligen Besatzungszone eigene Ideen und Konzepte im Bildungssystem zu verankern. Der notwendige Neuaufbau rief aber auch verschiedene deutsche Interessengruppen auf den Plan. Die Frage, ob das in Deutschland mehrgliedrige Schulsystem aus Gymnasium, Mittelschule und Volksschule Bestand haben oder in die Richtung von Gemeinschaftsschulkonzepten umgebaut werden solle, stand im Zentrum des Meinungskampfs. Im Widerstreit standen auch generell das von den Alliierten favorisierte Konzept der sechsjährigen Grundschule und das traditionell neunjährige Gymnasium. Strittig war ferner die Frage des kirchlichen Einflusses auf die Schulen. Die westlichen Besatzungsmächte konnten ihre jeweils vom eigenen Schulsystem abgeleiteten Reformvorstellungen insgesamt nicht verankern. Deutsche Interessengruppen (vor allem die organisierte Gymnasiallehrerschaft und die Kirchen) setzten sich gegen die alliierten Vorstellungen durch.

Zunächst aber stellten sich auf lokaler Ebene die eingangs erwähnten elementaren Aufgaben. Aus politischen und pädagogischen Gründen wurde die Wiederaufnahme des Schulbetriebs als vordringlich angesehen. So sollte der Verwahrlosung der Jugend, dem Motivationsverlust oder dem Abgleiten in die Kriminalität Einhalt geboten werden. Auch zur Bekämpfung der Unterernährung der Schülerschaft wurden die Schulen herangezogen. Wegen der anhaltend schlechten Ernährungslage der Bevölkerung erhielten die Schüler von Ende 1946 bis Ende 1950 täglich die vom vormaligen amerikanischen Präsidenten Herbert Hoover ins Leben gerufene sogenannte Hooverspeisung, die auch danach in städtischer Regie als Schulgesundheitsfürsorge eingeschränkt weitergeführt wurde. Die Schule wurde so zum wesentlichen Pfeiler der Wiederaufrichtung eines geregelten zivilen Lebens.

Bereits im Herbst 1945 gelang es, den Unterrichtsbetrieb in Ulm wieder aufzunehmen. Am 15. Oktober eröffneten die Grundschulen, am 2. November die Oberschulen. Allerdings waren die Schulhäuser der Stadt Ulm bei Kriegsende zu rund 80 Prozent völlig zerstört. Einige wenige Ausnahmen gab es am Rande der Altstadt. Lediglich die Wagnerschule und die Friedrichsauschule waren intakt. Als im Herbst 1945 der Unterricht wieder aufgenommen wurde, war man auf höchst mangelhafte Behelfsräume in Gastwirtschaften, Baracken und Kasernen angewiesen. Verschärft wurde die Problematik durch Zuzüge von Flüchtlingen und Vertriebenen. Der erste Schulneubau nach dem Krieg, die Friedensschule, wurde 1949 begonnen und 1950 seiner Bestimmung übergeben. Zeitgleich entstanden die Schulgebäude der privaten Mädchenschule St. Hildegard in der Zinglerstraße. Am "Tag der Schule" 1953 wurden in Ulm an einem Tag sechs Schulhäuser mit 79 Klassenzimmern und 22 Spezialunterrichtsräumen eingeweiht. Damit war die Raumnot im Schulbereich zwar gelindert, aber keineswegs beseitigt. Auch in der Folgezeit prägten Konflikte um Schulbauten die öffentliche Diskussion.

Schulischer Unterricht bedarf nicht nur eines Raumes, sondern auch geeigneten Lehr- und Lernmaterials. Da die Materialien aus der NS-Ära im Zeichen der Demokratisierung nicht mehr verwendet werden konnten, war Ersatz nötig. Im Amtsblatt wurde daher zur Meldung von Schulbüchern aus der Zeit von vor 1933 aufgerufen. Alternativ wurde auch mit amerikanischen Schulbüchern gearbeitet.

Vor allem aber benötigte man für die Wiederaufnahme des Unterrichts im Sinne der anstehenden Demokratisierung geeignetes pädagogisches Personal. Die Lehrerschaft wurde daher einem umfassenden Entnazifizierungsverfahren unterzogen. Hieran wirkte auch ein „Säuberungskomitee“ unter Leitung von Gymnasialprofessor Hermann Wild mit, welcher eine umfangreiche Denkschrift zum Wiederaufbau des Schulwesens in Ulm vorgelegt hatte. Ein größerer Teil der Lehrerschaft war politisch belastet und wurde daher suspendiert. Wegen des Lehrkräftemangels griff man allerdings im Laufe der Zeit als Hilfslehrkräfte wieder auf sie zurück.

Die Demokratisierung wurde an den Schulen auch auf der Mitbestimmungsebene der Schülerschaft vorangetrieben. Bereits in den Nachkriegsjahren entstanden Gremien der Schülermitverantwortung auf Schulebene, aber auch übergreifende Zusammenschlüsse wie der Arbeitsausschuss der Ulmer Schüler (ASU). Auch Publikationsorgane der Schülerinnen und Schüler wurden gegründet. Im Oktober 1946 erschien mit dem „Universum“ die erste Ulmer Schülerzeitschrift. Alsbald folgte der „Kepler-Kessel“, und Anfang Januar 1949 vereinigten sich die beiden Publikationsorgane zum gemeinsam von Schülern der vier Oberschulen erarbeiteten Blatt „Ulmer Spatz“. Themen wie Mitbestimmung und Verantwortung standen angesichts der politischen Verhältnisse auf der Tagesordnung. Aber auch praktische Fragen beschäftigten die organisierte Schülerschaft. So führte die mangelhafte Unterbringung zu einer Auseinandersetzung, die im Herbst 1953 im Schülerstreik an der Kepler-Oberschule ihren Höhepunkt fand.

Thomas Müller (Schubart-Gymnasium)