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Die Ulmer Lateinschule

Der Hof des alten Gymnasiums in Ulm – ehemals Barfüßerkloster. Zeichnung von K. A. Koch, 1920 nach Vorlage von Max Bach

© Stadtarchiv Ulm

Der Hof des alten Gymnasiums in Ulm – ehemals Barfüßerkloster. Zeichnung von K. A. Koch, 1920 nach Vorlage von Max Bach

Das genaue Gründungsdatum der Ulmer Lateinschule ist unbekannt. Das älteste Zeugnis für ihre Existenz ist eine Urkunde von 1294, in der ein „Rector puerorum in Ulma“ als Zeuge genannt wird. Die Geschichte der Schule ist eng verbunden mit der der Pfarrkirche. Wie diese war sie zunächst dem Kloster Reichenau unterstellt, bis der Rat im 14. und 15. Jahrhundert die Rechte an der Kirche nach und nach erwarb. Schließlich unterstand die Schule dem Bürgermeister und dem Rat der Stadt, war aber weiterhin zu verschiedenen kirchlichen Diensten verpflichtet. Dem „Rector scholarum“ oder dem „lateinischen Schulmeister“ nachgeordnet waren der „Provisor“ (später der „Conrector“), der „Cantor“, der auch die Aufgabe hatte, die Schüler zur Kirche zu führen und den Gesang dort zu leiten, einige „Locaten“ ( = „Gemietete“, vermutlich Honorarkräfte), sowie untergeordnete Lehrer, die teilweise aus den Reihen der Schüler genommen wurden, sogenannte „Schreiber“ oder „Collectoren“.
Der Unterricht begann am Vormittag um 6.00 Uhr und dauerte zunächst bis 10.00 Uhr, wurde dann um 12.00 Uhr wieder aufgenommen und endete um 16.00 Uhr. Im Sommer schlossen sich an zwei bis drei Tagen noch sogenannte „Disputationen“ an (M 1). Ferien gab es nicht, nur an den Sonntagen und an den zahlreichen Kirchenfesten ruhte der Unterricht. Es gab aber auch Schulfeste, insbesondere fand am 24. Juni jeden Jahres das traditionelle Fest des „Berges“ (vermutlich auf dem Michelsberg) statt.
Die Schüler waren in zwei Abteilungen eingeteilt: Die erste davon umfasste die Elementarschüler, die zweite bestand aus fünf „Lezgen/Lektionen/Klassen“, die aber nicht immer scharf voneinander getrennt waren. Im Mittelpunkt des Unterrichts stand die lateinische Sprache. Der Gesangsunterricht spielte eine große Rolle, weil Lehrer und Schüler verpflichtet waren, bei Gottesdiensten und ähnlichen kirchlichen Anlässen mitzuwirken (M 2).
In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts besaß die Schule offenbar einen geradezu legendären Ruf, und sie lockte neben den einheimischen Bürgersöhnen Schüler von weither an. Einen Anreiz zum Besuch der Ulmer Schule bildete sicher auch ein ausgeprägtes Unterstützungswesen, das durch Stiftungen der Ulmer Bürgerschaft ermöglicht wurde. Allerdings mussten die Empfänger des sogenannten „Partem“ (= Teil/Anteil) schwarze Mäntel tragen, die ihre Bedürftigkeit nach außen kenntlich machten (M 3 „Realschüler, den Partem einsammelnd“,“ein Magister vom Gymnasium“, zwei Rommelfiguren).
Ende des 15. Jahrhunderts scheint es mit der Schule bergab gegangen zu sein (M 4).
Mit der Einführung der Reformation in Ulm jedoch kam es zu einem neuen, starken Interesse an Unterricht und Erziehung (M 5). Die Aufsicht über die Schule wurde drei Schulpflegern übertragen: einem aus dem Rat, einem von den Predigern und einem von denen, „so in göttlicher Schrift und Sprachen lesen werden.“ (M 6). Zu dieser Zeit wurde auch ein neues Schulhaus nördlich des Münsters bezogen. Die Schüler wurden nun in eine Elementarklasse und vier Lezgen eingeteilt.
Es folgten Jahrzehnte des Ringens um die organisatorische und inhaltliche Neugestaltung des Schullebens: Superintendent Rabus führte 1557 eine neue Schulordnung ein: Jetzt gab es fünf räumlich getrennte, fortschreitende Klassen, der Unterricht dauerte täglich von 8.00 bis 10.00 Uhr, von 12.00 bis 14.00 Uhr und von 15.00 bis 16.00 Uhr. Als Schulgebäude diente nun das frei gewordene Franziskanerkloster auf dem Münsterplatz (M 7). Die Schulaufsicht wurde gänzlich neu geregelt: Das Pfarrkirchenbaupflegamt und der Superintendent bildeten zusammen mit drei „doctores“ (also Ärzten oder Juristen) das sogenannte Scholarchat, die höchste Instanz in allen schulischen Fragen. Die Schule war damit in völlige Abhängigkeit von der Kirche geraten, die in der Folgezeit ständigen Druck auf alle am Schulleben Beteiligten ausübte, z. B. durch wöchentliche und tägliche Visitationen seitens der Prediger Dazu kam schlechte Bezahlung der Lehrer bei zunehmender Teuerung. Um die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert gab es eine Reihe von Eingaben, in denen die Lehrer um Aufbesserung ihres Einkommens baten; sie wurden alle abschlägig beschieden. Beide Umstände zusammen, die unablässige kirchliche Einflussnahme und die schlechte Bezahlung, waren weder der Motivation der Lehrer noch deren wissenschaftlicher Betätigung zuträglich und führten erneut zu Klagen über Missstände in der Schule. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde versucht, die Schule gründlich zu reformieren. Den Pfarrkirchenbaupflegern als Oberscholarchen wurden drei Scholarchen unterstellt: der Superintendent als Direktor, ein Jurist und ein Arzt. Die Zahl der Klassen wurde auf sechs erhöht, der Besuch einer Klasse dauerte aber in der Regel nicht ein Jahr, sondern 18 Monate. Auch die Lehrinhalte wurden neu geordnet und um die Fächer Dialektik, Rhetorik und Geschichte erweitert. Dazu kamen öffentliche Redeübungen und Deklamationen sowie die Möglichkeit, Dramen und Komödien aufzuführen. 1613 wurde die neue Schulordnung endgültig beschlossen, ihr Schlusswort lautet „Gute Schul, halbe Regierung“ (M 8).
1614 kam der Mann nach Ulm, der auf das hiesige Schulwesen entscheidenden Einfluss nehmen sollte: Konrad Dieterich wurde von Gießen als Superintendent nach Ulm berufen (M 9: Porträt
K. Dieterich). Seinem energischen Einsatz verdankte die Schule einen neuen Aufschwung. Unter anderem wurde die Zahl der Klassen nun auf sieben ausgeweitet. 1620 konnte Dieterich stolz feststellen, die Ulmer Schule könne sich mit den anderen Schulen nicht nur messen, sondern habe sie weit überholt. Im Jahre 1622 wurde beschlossen, das Ulmer Gymnasium zur Akademie auszubauen, um damit zu erreichen, dass Schüler, die das Gymnasium absolviert hatten, einen großen Teil ihres Studiums in Ulm absolvieren konnten. Nur um einen Abschluss zu erlangen, sollten sie noch etwa ein Jahr lang eine auswärtige Universität besuchen. Die Professoren rekrutierte man großenteils aus den Reihen der Lehrer der Lateinschule, dazu kamen einige Ulmer Stipendiaten, die von auswärtigen Universitäten zurückberufen wurden. Das Gymnasium Academicum unterstand nicht dem Direktor der Lateinschule, sondern direkt dem Scholarchat. Einer der drei Scholarchen, in der Regel der Superintendent, war der Direktor. Inhaltlich waren die Vorlesungen zunächst auf Theologie und Philosophie begrenzt, eine spätere Ausweitung schloss man nicht aus, es kam aber in der Folgezeit lediglich eine Professur der Poesie und Unterricht in Mathematik dazu (M 10). In dieser Form überdauerte das akademische Gymnasium bis zum Ende der Reichsstadtzeit und blieb ausgerichtet auf das Ziel, Nachwuchs für Kirche und Staat auszubilden.
Auch das eigentliche Gymnasium wurde in den folgenden Jahren nur wenig verändert. Schon seit Beginn des 17. Jahrhunderts konnte denjenigen Schülern, die Kaufleute werden wollten, das Erlernen der griechischen Sprache erlassen werden, damit sie besser Latein, aber auch Französisch und Italienisch lernen konnten; dabei mussten die Kenntnisse der modernen Sprachen aber außerhalb der Schule erworben werden. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden Rechtswissenschaften und die Fächer Geografie, Geschichte und Naturgeschichte in den Lehrplan aufgenommen. Weitergehende Reformbestrebungen blieben in der Planungsphase stecken. Nach dem Ende der Reichsstadtzeit wurde das Gymnasium sukzessive in eine bayerische Studienanstalt umgewandelt, gegliedert in Primarschule, Sekundarschule – unterteilt in Progymnasium und Realschule – und Gymnasium. Unter württembergischer Herrschaft schließlich wurde der Plan des Stuttgarter Gymnasium illustre auch für Ulm maßgeblich. Zunächst blieb die organisatorische Einheit von Realschule und Gymnasium so bestehen, wie sie aus bayerischer Zeit übernommen war.  Im Jahre 1844 wurden die Realklassen endgültig vom Gymnasium abgetrennt.

Ursula Silberberger (OStD i.R.)