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Schulnamen in Ulm

Schulnamen sind ein Spiegel sich wandelnder Erinnerungskultur. Im Zuge eines expandierenden und sich dabei stets weiter ausdifferenzierenden Schulwesens wurden auch in Ulm neben der reinen Funktionsbezeichnung seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch zunehmend sinntragende Namen vergeben. In vielen Fällen wurden hierfür topografische Gegebenheiten ausgewählt. Ulmer Beispiele hierfür wären etwa die Weinhofschule oder die Friedrichsauschule. Auch symbolische Begriffe werden vereinzelt herangezogen (Regenbogenschule, Bildungshaus Ulmer Spatz an der Stelle der 2006 durch Brandstiftung zerstörten Friedensschule). 
Noch häufiger wurden Schulen nach berühmten Persönlichkeiten benannt. Hier drückte bzw. drückt jede Epoche den Schulen ihren Stempel auf, sei es bei der Benennung neuer oder auch durch Umbenennung bestehender Schulen. Insbesondere hierauf geht der folgende Aufriss anhand einiger Beispiele ein.

Die Benennung von Schulen nach Patronen gehorcht bestimmten Kriterien, die aber oftmals nicht überzeitlich Bestand haben. Meinungsstreitigkeiten begleiten daher in vielen Fällen die Benennung. Dabei sind oft verschiedene Gruppen von Betroffenen einbezogen: die städtischen Entscheidungsträger, die Gremien der Schulen wie Lehrerkonferenzen und Schülervertretungen, die Öffentlichkeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Ulm eine ganze Reihe von öffentlichen Diskursen über Schulbenennungen, die auch auf den Leserbriefseiten der Presse ihren Niederschlag fanden.

Bei den Namenspatroninnen und Namenspatronen handelt es sich einerseits um überzeitlich unumstrittene, politisch unverfängliche Gestalten, oft aus Kultur oder Wissenschaft (Humboldt, Stifter u. a.), andererseits um Personen, die nur in bestimmten Epochen als positiv prägend galten bzw. gelten. In diese Kategorie gehören zumindest teilweise Politikernamen. Es fällt auf, dass im Jahr 2018 keine Ulmer Schule nach einem Politiker bzw. einer Politikerin benannt ist.
Die Patrone haben entweder – wie Meinloh, Hans Multscher oder Hans Lebrecht – einen markanten lokalen Bezug oder sie sind von überregionaler, nationaler oder internationaler Bedeutung (Pestalozzi, Astrid Lindgren). In Einzelfällen kommt freilich beides zusammen. Beispiel hierfür wäre Albert Einstein.
Man kann Schulbenennung auch unter dem Genderaspekt untersuchen. Insgesamt sind Frauen als Schulpatroninnen unterrepräsentiert. In Ulm wurden bereits 1921 die St.Hildegard-Mädchenschule (heute Gymnasium und Realschule), 1967 die Elly-Heuss-Realschule,
1991 die Anna-Essinger-Schulen (Gymnasium und Realschule), 1996 die Maria-Sibylla-Merian-Grundschule sowie die Astrid-Lindgren-Schule (heute Sonderpädagogisisches Bildungs- und Beratungszentrum mit Förderschwerpunkt Sprache) nach bekannten Frauen benannt. Dazu kommt Sophie Scholl, die gemeinsam mit ihrem Bruder Hans als Namensgeberin fungiert. In der Mehrzahl der Fälle wurden Frauennamen für Mädchenschulen ausgewählt.

Gerade während des Dritten Reiches wurden verschiedene Anstrengungen unternommen, die bestehende Erinnerungskultur umzuprägen. Hierzu gehörten auch die Schulnamen. Den Anstoß gab Rektor Justin Häcker mit einem Vorstoß beim städtischen Schulamt. Am 12.5.1936 skizzierte Häcker die bisherige Benennungspraxis der Stadt Ulm und machte weit reichende politisch motivierte Umbenennungsvorschläge: Die Auschule solle in Hitlerschule, die Blauschule in Hindenburgschule und die Söflinger Schulen in Hans-Schemm-Schule umbenannt werden (der bayerische Kultusminister und Gründer des NS-Lehrerbundes Hans Schemm galt als Hitler-Protegé).
Den letztgenannten Vorschlag machte sich auch das Städtische Schulamt zu eigen. Für die beiden Schulhäuser in Söflingen, die traditionell als evangelische Schule bzw. katholische Schule firmierten und nach der Zusammenlegung als altes Schulhaus und neues Schulhaus bezeichnet wurden, brachte das Schulamt 1936 ebenfalls Hans Schemm als Namensgeber ins Spiel. Rektor Häcker und Schulrat Knödler schlugen vor, „Persönlichkeiten der Bewegung zu ehren, vor allem den Führer, ferner Hans Schemm und Horst Wessel.“
Tatsächlich wurde das Realgymnasium im Blauschulgebäude in Hans-Schemm-Oberschule umbenannt. In den Jahren der NS-Herrschaft kamen weitere Umbenennungsvorschläge auf. So schlug der Wiblinger Ratsherr Alfred Conzelmann 1937 für das neue Schulgebäude in Wiblingen (Sägefeldstraße) die Namen Schlageterschule oder Schillerschule vor.

Nach 1945 stellte sich die Aufgabe, nationalsozialistisch geprägte Schulbenennungen wieder rückgängig zu machen oder aber neue Namen für neue Schulen zu finden. Die bereits erwähnte Hans-Schemm-Oberschule musste „entnazifiziert“ werden. Das Kollegium plädierte für den Wahl-Ulmer Ingenieur und Schriftsteller Max Eyth als Paten, doch entschied der Gemeinderat 1947 für den Dichter, Journalisten und Musiker Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791), den mit Ulm verbundenen Kämpfer gegen absolutistische Fürstenwillkür. 1972 wurde der Ulmer Widerstand gegen das NS-Regime in einer Schulnamensgebung geehrt: Das bis dato lediglich funktional benannte Mädchengymnasium erhielt den Namen „Hans-und Sophie-Scholl-Gymnasium“. Auch hier waren die Meinungen geteilt. Kollegium und Elternschaft hatten die exilierte jüdische Physikerin Lise Meitner als Namensgeberin bevorzugt, doch auf Betreiben von Oberbürgermeister Pfizer fiel die Entscheidung für eine Ehrung der Geschwister Scholl.
Nach der Jahrtausendwende war es Pfizer selbst, der als Namensgeber für eine Ulmer Schule gehandelt wurde, namentlich das Schulzentrum Wiblingen. Nach längeren Diskursen, die vor allem auch Pfizers frühere NS-Affinität und sein Agieren als leitender Reichsbahnbediensteter im Zusammenhang mit den Judendeportationen zum Gegenstand hatten, nahm man Abstand von der Würdigung Pfizers, so dass die Landschaft der Ulmer Schulnamen politikerfrei blieb. Stattdessen entschied man sich in der Frage des Namensgebers für die Wiblinger Schulen für Albert Einstein.

Thomas Müller (Schubart-Gymnasium)