Der Weg zur modernen Adresse

© Stadtarchiv Ulm
"Schlumberger-Plan" von 1808 mit Einteilung der Ulmer Altstadt in die Stadviertel A-D und die Grabenhäuschen (violett markiert)
Straße und Hausnummer – die heute selbstverständliche Art zu
adressieren gibt es in Ulm erst seit 1893. Zwar hatte auch zuvor schon jedes
Haus seine unverwechselbare Bezeichnung, aber die bestand aus einem Buchstaben
und einer Nummer. Zu diesem Zweck war die Stadt seit 1794 in die vier Viertel
A, B, C und D eingeteilt, in denen jedes Haus durchnummeriert war, beginnend
bei 1. Im Adressbuch von 1812 finden sich die Nummern A1 bis D 406. Hinzu kamen
noch die Grabenhäuschen mit den Nummern 1 bis 175. Dann gab es noch einige
Anwesen vor den Toren, die aber keine Nummern hatten.
Diese vier Viertel sowie die Nummerierung jedes einzelnen
Hauses sind abgebildet im so genannten „Schlumberger-Plan“. Dieser Stadtplan
wurde im Jahr 1808, als Ulm noch unter bayerischer Herrschaft stand, vom
Wasser-, Brücken- und Strassenbau-Direktor Johannes Schlumberger aufgenommen,
erschien aber erst 1812 im Druck, als Ulm bereits zum Königreich Württemberg
gehörte.
Dieses Hausnummerierungs-System, „Litera-Einteilung“
genannt, funktionierte, solange die Stadt die Grenzen ihrer mittelalterlichen
Befestigung nicht oder nur unwesentlich überschritt. Doch als Ulm im 19.
Jahrhundert in den neuen, größeren Festungsgürtel der Bundesfestung hineinwuchs
und die Neustadt entstand, war die Litera-Einteilung am Ende.
Bereits 1864 hatte der Ulmer Gemeinderat den neuen Straßen
in der Neustadt Namen wie Karlstraße, Olgastraße, Syrlinstraße und Keplerstraße
verliehen. Und fünf Jahre später wurde erwogen, das alte Litera-System durch
ein zeitgemäßes mit Straßennamen und Hausnummer zu ersetzen. Doch das war zu
teuer. In der Altstadt blieb es daher beim alten System, während in der
Neustadt jede neue Straße ihren eigenen Namen bekam.
Damals, 1869, wurden auch die Straßennamen der Altstadt reformiert
und systematisiert. Die damals festgesetzten Namen bestehen in dieser Form bis
heute fort. Doch mit diesen Straßennamen waren keine Hausnummern verbunden, die
alte Litera-Einteilung galt nach wie vor. Erst 1893 beschloss der Ulmer
Gemeinderat die Neuordnung der Adressenlandschaft. Damit bekam auch in der
Altstadt jedes Haus seine Adresse mit Straßennamen und Hausnummer.
Die dadurch entstandene Verwirrung zwischen alter und neuer
Bezeichnung ließ sich mit Hilfe des Adressbuchs 1894 lindern. Sein Straßen- und
Gebäudeverzeichnis listet die Straßen in alphabetischer Reihenfolge auf. Die
Häuser in den Straßen der Neustadt sind mit ihren neuen Hausnummern versehen,
und dahinter steht in Klammer die Nummer der alten Litera-Einteilung, also „Auf
dem Kreuz 1 (D 229)“.
Dieser Abgleich zwischen Litera- und modernen Adressen macht
das Straßen- und Gebäudeverzeichnis von 1894 zu einem unentbehrlichen
Instrument für die Ulmer Lokalgeschichte.
Dr. Wolf-Henning Petershagen