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Württembergische Gemeindeverfassung

Im seit 1810 württembergischen Ulm legten die Reformen König Wilhelms I. (Organisationsedikt von 1818, Verfassung von 1819, Verwaltungsedikt von 1822) die Grundlage für die kommunale Selbstverwaltung. Seit 1819/22 konnten die männlichen Inhaber des Bürgerrechts einen 18köpfigen Gemeinderat wählen, der unter Vorsitz des stimmberechtigten Oberbürgermeisters tagte. Daneben wurde ein Bürgerausschuss als Kontrollorgan durch Wahl bestimmt. Vom Wahlrecht ausgeschlossen waren zahlreiche Personengruppen: Frauen, Männer unter 25 Jahren, Einwohner ohne Bürgerrecht wie Beisitzer und Personen, die das Bürgerrecht an einem anderen Ort als dem Wohnort besaßen, sowie Bürger, die z.B. in vertraglich geregelter Lohnabhängigkeit standen (nichtselbständige Existenz) oder Armenunterstützung bezogen. Die Gemeinderäte wurden zunächst zweijährig auf Probe und bei direkter Wiederwahl auf Lebenszeit gewählt. Infolge der Revolution von 1848/49 wurde schließlich die Amtszeit auf sechs Jahre beschränkt und das Wahlrecht auf alle erwachsenen männlichen „Gemeindegenossen“ ausgeweitet. Um sozialistische Kräfte fernzuhalten, wurde das Gemeindewahlrecht 1885 auf den Stand von vor 1849 abgeändert, so dass dieses nur noch den – meist wohlhabenderen – Inhabern des Bürgerrechts zustand. Damit verloren etwa 25-30 % der wahlberechtigten Ulmer ihr Stimmrecht.
Die Beratungen des Gemeinderats fanden unter dem Vorsitz des ebenfalls stimmberechtigten Oberbürgermeisters statt, wobei sich das Gremium v. a. mit Finanzverwaltung, freiwilliger (z.B. Beurkundungen, Vormundschafts- und Nachlassangelegenheiten) und niederer streitiger Gerichtsbarkeit sowie der Überwachung der Einhaltung bau-, gewerbe- und feuerpolizeilicher Vorschriften zu beschäftigen hatte. Da nur wenig städtisches Personal zur Verfügung stand, übernahmen häufig Ratsmitglieder diese Aufgaben und wurden hierfür u. a. mit Gebühren verschiedenster Art entschädigt. Das gemeinderätliche Ehrenamt entwickelte sich daher vielfach zu einer Neben- oder Haupttätigkeit, so dass keine reale Gewaltenteilung existierte und zahlreiche Mitglieder des legislativen Gremiums auch exekutive Aufgaben wahrnahmen. Erst die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermehrt auftretende Bildung von Fachämtern befreite den Gemeinderat zunehmend von administrativen Aufgaben und bildete somit die Voraussetzung für den Ausbau seiner Kontrollfunktion gegenüber der Verwaltung.
Einen großen Einfluss besaßen die Stadtschultheißen, die in Ulm wie in anderen größeren Städten Württembergs den vom König verliehenen Titel „Oberbürgermeister“ trugen. Sie führten den Vorsitz im Gemeinderat und standen an der Spitze der Stadtverwaltung. Sie verrichteten außerdem auch staatliche Aufgaben, da sie auf die Vollziehung der staatlichen Gesetze und Verordnungen zu achten hatten. Die Bürger wählten drei Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters aus, von denen der König einen ernannte. Bis 1906 wurden sie auf Lebenszeit bestellt. Den Oberbürgermeistern Karl Heim (Amtszeit 1863-1890) und Heinrich Wagner (Amtszeit 1891-1919) wurden zahlreiche in- und ausländische Orden verliehen, darunter das Ehrenkreuz des Ordens der Württembergischen Krone, das mit der Erhebung in den persönlichen Adelsstand verbunden war.
Die 1859 fertiggestellte Bundesfestung bedeutete für die Stadt und ihre Einwohner eine Einschränkung ihrer Selbstbestimmung: Die Stadttore wurden ständig bewacht, Militäranlagen und Wälle waren Sperrgebiet. Die Rayonbestimmungen untersagten die bauliche Nutzung von Grund und Boden außerhalb der Festung, und im Falle eines Krieges musste die ganze Stadt mit der Versetzung in den Belagerungszustand rechnen.

Matthias Grotz (Stadtarchiv Ulm)