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Der Große Schwörbrief von 1397

Im Laufe des 14. Jahrhunderts erlebte Ulm einen großen wirtschaftlichen Aufschwung, der vor allem von den Handwerkern und Händlern getragen wurde. Nach außen drückte sich dies in der Stadterweiterung mit der neuen Stadtbefestigung, dem Bau der Pfarrkirche und dem Rathaus sowie dem Erwerb eines großen Territoriums aus. Im Innern setzten sich die Zünfte für eine Erweiterung ihrer 1345 zugestandenen Rechte ein, ähnlich wie das Zünfte anderer Städte taten. Dass die Patrizier ihre überkommenen Rechte nicht kampflos aufgaben, steht nur zu vermuten, denn über konkrete Auseinandersetzungen wird nur in späteren Chroniken berichtet. Aus einem Sühnebrief von 1396 kann man auf vorausgegangene Streitigkeiten schließen.
Der 1397 schließlich verabschiedete Schwörbrief erweiterte noch einmal die Mitspracherechte der Zünfte, ohne dass damit von demokratischen Strukturen im heutigen Sinne die Rede sein kann. Tatsächlich waren nur 10 – 15 % der Ulmer Bevölkerung an der politischen Mitbestimmung beteiligt, nämlich die in den Zünften organisierten männlichen Vollbürger. Frauen, Gesellen, Dienstpersonal, Geistliche, Juden und andere Randgruppen waren ebenso ausgeschlossen wie die als Untertanen angesehenen Einwohner des reichsstädtischen Territoriums.
Die Räte selbst waren mit weitaus mehr Rechten ausgestattet, wie wir es heute von Stadträten her kennen. Denn neben legislativen (z. B. Verabschiedung von Gesetzen und Ordnungen) besaßen sie auch exekutive und judikative Befugnisse. Dazu kam, dass der Rat auch über außenpolitische und religiöse Fragen entschied. Es gab also weder eine Gewaltenteilung im heutigen Verständnis noch eine gegenseitige Kontrolle, auch von Volkssouveränität konnte keine Rede sein. Der Rat empfand sich als die von Gott eingesetzte Obrigkeit. Das einzige „demokratische“ Element ist das Prinzip der Annuität, mit dem Herrschaft begrenzt wurde.

Dr. Gebhard Weig (Stadtarchiv Ulm, i.R.)