Navigation und Service

Springe direkt zu:

Die verfassungsrechtliche Situation vor 1397

Wie die verfassungsrechtliche Situation vor 1397 ausgesehen hat und welche Entwicklungsphasen sich konkret unterscheiden lassen, das alles kann man nur punktuell an Hand weniger erhaltener Urkunden rekonstruieren.
Klar ist, dass sich verschiedene Parteien um Macht und Einfluss in der aufstrebenden Stadt stritten. Da sind zum einen die Könige vor allem aus dem Geschlecht der Staufer zu nennen, die Ulm als ihre ureigene Besitzung ansahen und dies auch durch häufigen Aufenthalt in der Stadt zum Ausdruck brachten. Als Vertreter ihrer politischen und wirtschaftlichen Interessen setzten sie einen Vogt ein, der in ihrer Abwesenheit in der ganzen Region die königlichen Rechte wahrnahm. Mit dem Ende der Staufer und der damit einhergehenden Schwächung der Königsherrschaft versuchte der Vogt seinen Handlungsspielraum für eigennützige Ziele zu erweitern (z. B. Schaffung eines eigenen Territoriums). Der vor Ort agierende Ammann stand zwischen den lokalen Interessen der Bürgergemeinde und denen des Vogts als seinem unmittelbaren Vorgesetzten. Je stärker sich die wirtschaftliche Potenz der Stadt entwickelte, desto mehr versuchten die Patrizier und später die Zunftvertreter die Handlungsspielräume des Ammanns einzuschränken, indem sie die königlichen Rechte sukzessive an sich rissen. Das Ergebnis war schließlich das Verschwinden beider Ämter ab dem 14. Jahrhundert und die Freiheit der Stadtrepublik von zwischeninstanzlichen Abhängigkeiten. Der Interessenkonflikt innerhalb der Stadt spitzte sich im 14. Jahrhundert zwischen den Patriziern, sprich den ehemaligen königlichen Ministerialen, und den Zunftvertreten zu.
1345 wurde zum ersten Mal die verfassungsrechtliche Ordnung der Stadt Ulm schriftlich fixiert. In diesem so genannten „Kleinen Schwörbrief“ erlangten die Zünfte Zugang zum Stadtregiment, sie stellten sogar die Mehrheit im Rat. Diesen Zugang erkämpften sie sich wohl in jahrelangen wechselvollen Auseinandersetzungen. Es gelang den Zünften schließlich im „Großen Schwörbrief“ von 1397 ihre Stellung und Bedeutung innerhalb der städtischen Verfassung nicht nur zu stärken, sondern sogar auszubauen.
Die Auseinandersetzung um das Stadtregiment endete also mit dem Sieg der wirtschaftlich dynamischeren Zünfte und der Niederlage der wirtschaftlich konservativen, sich am Feudalsystem orientierenden Patrizier. Mit diesem Sieg erweiterte sich zwar die Zahl der am Stadtregiment Beteiligten, trotzdem blieb die Mehrheit der Stadtbewohner von der politischen Mitsprache ausgeschlossen.

Dr. Gebhard Weig (Stadtarchiv Ulm, i.R.)