Die Verfassungsänderung von 1558
Mit der Einführung der Reformation 1530/31 stellte sich die Mehrheit der Patrizier und Zunftbürger offen gegen ihren kaiserlichen Stadtherrn. Denn die Ablehnung des Reichstagsabschieds von Augsburg 1530, der den Besitz und die Verbreitung der lutherischen Schriften und Lehren mit Acht und Bann bedrohte, galt als Landfriedensbruch. Wenn Karl V. zunächst gehindert wurde, eine Strafexpedition gegen die unbotmäßige Stadt zu unternehmen, so lag es an den außenpolitischen Verwicklungen jener Zeit, die den Kaiser lange Jahre vom Reichsgebiet fernhielten. Zum eigenen Schutz hatte sich Ulm 1531 dem Schmalkaldischen Bund angeschlossen, einem Verteidigungsbündnis evangelischer Reichsstände unter der Führung des Kurfürsten von Sachsen und des Landgrafen von Hessen.
1546 kam es zum offenen Konflikt zwischen dem Kaiser, der nach seinen außenpolitischen Erfolgen die Einheit von Reich und Kirche gewaltsam wieder herstellen wollte, und dem Schmalkaldischen Bund. Auf ihren Kriegszügen durch das Reich zogen die kaiserlichen Truppen eine Spur der Verwüstung durch das Ulmer Territorium, die Stadt selbst entging zunächst einer Belagerung. In dieser Zeit äußerster Bedrohung schworen die Ulmer Bürger am 14. Oktober 1546 in der letzten Befragung, die nach den Vorgaben des Großen Schwörbriefes abgehalten wurde, bei der evangelischen Lehre zu bleiben. Trotzdem suchte der Rat um einen Separatfrieden nach, der nach langen Verhandlungen vom Kaiser schließlich gewährt wurde und der letztendlich der Stadt die Reichsfreiheit bewahrte – wenngleich zu einem hohen Preis. Neben der symbolträchtigen Unterwerfung, dem Austritt aus dem Schmalkaldischen Bund und einer hohen Kriegsentschädigung ließ der Kaiser am 18. August 1548 bei seinem Besuch in Ulm die Zünfte und die alte zünftische Verfassung von 1397 per Dekret aufheben. An die Stelle des alten Rates trat ein auf 31 Mitglieder verkleinertes Ratsgremium, an dessen Spitze die beiden Ratsälteren standen. Sie waren mit weit reichenden Vollmachten ausgestattet und bildeten zusammen mit dem ihnen zur Seite gestellten Fünferausschuss den Kleinen Rat. Die nunmehr drei Bürgermeister waren von ihrer Funktion her nachgeordnet und wurden alle vier Monate neu bestimmt. Zum Fest Mariä Himmelfahrt am 15. August besuchte der Kaiser mit seinem Gefolge ein feierliches Hochamt im Münster, das der Bischof von Arras hielt. Damit war die Kirchenordnung von 1531 aufgehoben. Die vier evangelischen Prediger (u. a. Martin Frecht), die treu beim evangelischen Glauben blieben, wurden aufs Kirchbaupflegamt zitiert, gefangen genommen, in Ketten durch die Stadt geführt und ausgewiesen. Allerdings war die evangelische Lehre schon zu tief in der Ulmer Bevölkerung verwurzelt, so dass alle Rekatholisierungsversuche von Seiten des neuen Rates zum Scheitern verurteilt waren. Spätestens mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 wurde das vorübergehende Simultaneum im Münster aufgehoben.
1558 wurde nach wiederholten Beschwerden und Anfragen an den Kaiser die oktroyierte Verfassung von 1548 revidiert. Das Zunftverbot fiel, die Zahl der Ratsmitglieder wurde nunmehr auf 41 festgelegt, wobei die Mehrheit von 24 Räten aus dem Patriziat stammen musste, die Dauer der Amtszeit betrug jetzt einheitlich ein Jahr. Das Wahlverfahren wurde so geändert, dass die Kontrolle durch die Patrizier zu jeder Zeit gewährleistet war, denn allein die Ratsmitglieder besaßen nun das aktive Wahlrecht und alle Ratsmitglieder waren jedes Jahr wieder wählbar (die einzige Ausnahme war die Wahl zum Bürgermeister), wodurch der Wahlakt einer Selbstbestätigung des Rates gleichkam.
Diese oligarchische Verfassung, die die beherrschende Stellung des Patriziats festschrieb, indem sie die Zünfte von der politischen Mitsprache weitgehend ausschloss, blieb bis zum Ende der Reichsstadtzeit 1802 in Kraft.
Dr. Gebhard Weig (Stadtarchiv Ulm, i.R.)