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Abwasser und Kanalisation im 19. und 20. Jahrhundert

Abwasser wurde bis in das 19. Jh. auf die Straße gegossen, wo es zusammen mit Regenwasser und dem Traufwasser von den Hausdächern in offenen Abwasserrinnen zusammenfloss und entweder direkt in Blau oder Donau geleitet wurde oder in sogenannten "Dolen" versickerte. Unter diesen Dolen, auch "Tollen" oder "Schwindgruben" genannt, verstand man Schächte im Erdreich, in denen das Abwasser versickerte oder über unterirdische Kanäle weitergeleitet wurde. Diese Kanäle mündeten zumeist in die Donau oder Blau, wie aus entsprechenden Verzeichnissen von 1804 hervorgeht.
Abfälle des Schlachthauses, der Metzig, welche sich bis Ende des 19. Jh. in der Nähe der heutigen Musikschule befand, wurden in die Metzigblau geleitet, einen Blauarm, welcher damals hinter der Stadtmauer oberirdisch floss und erst kurz vor der Herdbrücke die Donau erreichte. Die Metzigblau, noch heute als Graben zu erkennen, wurde Anfang der 1930er Jahre trockengelegt.
Das Fischerviertel selbst und die direkte Umgebung brauchten keine besonderen Kanäle, denn hier flossen Abwasser und Fäkalien aus den Häusern direkt über Schläuche in die Blau.
In der Regel wurden Fäkalien jedoch in Gruben oder "Cloaken", größeren gemauerten Zisternen, gesammelt. Oftmals benutzten mehrere Häuser gemeinsam eine Cloake. Diese mussten in größeren Zeitabständen, die auch mehrere Jahrzehnte betragen konnten, geleert werden.
Da es in der Stadt auch Kleintierhaltung gab - Tauben, Hühner, Gänse, Ziegen und Schweine - existierten in den Gärten und Höfen in der Stadt "Dunglegen".
Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde man sich langsam der Unzulänglichkeiten des alten Systems bewusst und errichtete zahlreiche neue überdeckte Kanäle, so dass die Kanalisierung 1869 für die Altstadt als abgeschlossen gelten kann. 1870 bis 1900 wurde die neu entstehende Neustadt an das Kanalnetz angeschlossen. Die neuen Kanäle mündeten nach wie vor in Blau und Donau und waren nicht für Fäkalien vorgesehen, die in Gruben bzw. Cloaken gesammelt werden mussten. Mit zunehmendem Bewusstsein für Hygiene traten auch bei diesen Cloaken neue Bestimmungen in Kraft. Die Baustatuten der Stadt vom März 1866 schrieben vor, dass alle Abtrittsanlagen innerhalb von sechs Jahren mit wasserdichten Gruben zu versehen und mindestens einmal im Jahr zu leeren seien. Während bei Neubauten diese neuen Bestimmungen durchgesetzt wurden, setzten sich die wasserdichten Gruben aufgrund der hohen Kosten in der Altstadt nur zögerlich durch. Neue Regelungen betrafen auch die Leerung der Abortgruben, für die zunehmend Maschinen eingesetzt wurden.
Um 1900 traten erstmals in den Häusern Toiletten mit Wasserspülung auf. Im Gegensatz zu heute schwemmte die Wasserspülung damals die Fäkalien nur bis in die Grube beim Haus. Zum einen war die Wasserversorgung noch nicht leistungsfähig genug, um alles wegspülen zu können, zum anderen war das Kanalsystem nicht für große Mengen ausgelegt und die Kanäle mündeten häufig noch im Stadtgebiet in Blau oder Donau, so dass für die Badeanstalten an der Donau unhaltbare hygienische Zuständen entstanden wären. Für die Gruben, in die die Fäkalien samt Leitungswasser gespült wurden, wurden kleine Hauskläranlagen vorgeschrieben. Die festen Stoffe setzten sich ab, so dass diese wie bisher mittels einer Grubenentleerung entfernt werden konnten, die flüssigen Bestandteile wurden soweit gereinigt, dass sie in die Kanäle und damit in Blau oder Donau geleitet werden konnten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konzentrierte man sich auf den Bau von Hauptsammelkanälen, die das gesamte Abwasser aus der Stadt zusammenführen und unterhalb der Friedrichsau in die Donau einleiten sollten. Mit der Fertigstellung des Hauptsammelkanals entlang des Donauufers Mitte der 1930er Jahre wurde dieses Ziel erreicht und die Donau im Stadtgebiet von Verunreinigungen freigehalten.
1957 vereinbarten die Städte Ulm und Neu-Ulm den gemeinsamen Betrieb einer Sammelkläranlage im Steinhäule, die damit die einzelnen Hauskläranlagen überflüssig machte.

Matthias Grotz (Stadtarchiv Ulm)