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Flöße, Zillen, Schachteln

Vor der Erfindung der Eisenbahn war der Warentransport auf dem Wasser wesentlich leistungsfähiger, billiger, schneller und im allgemeinen auch ungefährlicher als mit Fuhrwerken über Land. Einschränkungen gab es im Winter, wenn der Fluss zufror, und vor allem bei Hochwasser.
Seit einiger Zeit hat die Donau als Verkehrsweg ausgedient, wenn man einmal von den Ausflugsfahrten zwischen Metzgerturm und Friedrichsau und den auch immer seltener werdenden Schachtel-Fahrten z.B. von Stadtrat und „Donaufreunden“ nach Wien absieht.
Für die Zeit der Kelten und Römer sind wir im Hinblick auf den Schiffsverkehr auf der Donau fast durchweg auf Vermutungen angewiesen. Zahlreiche bei Ausgrabungen auf der keltischen Heuneburg (bei Hundersingen) gefundene importierte Gegenstände haben die Vermutung aufkommen lassen, dass die Händler für den Warenaustausch auch die Donau als Wasserweg benutzt haben könnten.
Von den Römern weiß man, dass sie, wo immer sie konnten, vor allem für Massengüter und Schwertransporte den fünfmal billigeren Tarif auf dem Flussschiff bevorzugten und dass ihre Truppeneinheiten immer eine erhebliche Menge Nachschub benötigten, für eine Kohorte allein an Weizen täglich 500 kg. Man kann deswegen als sicher davon ausgehen, dass zu ihrer Zeit der Schiffsverkehr donauaufwärts bis zum Kohorten-Kastell Rißtissen (ab 50 n. Chr.) ging, möglicherweise sogar bis Mengen-Ennetach.
Bei dem aus der gleichen Zeit stammenden, durch die Luftbildarchäologie entdeckten und 1984 ausgegrabenen, römischen Kleinkastell bei Burlafingen (knapp 30 m im Quadrat = 826 m² für ca 70 Mann Besatzung) ist auffallend, dass es etwa 4 km entfernt von der südlich der Donau verlaufenden Römerstraße zwischen Unterkirchberg und Günzburg flussnah in einem hochwassergefährdeten Gebiet lag. Dies lässt darauf schließen, dass die Römer die Nähe zur Donau als Verkehrsader suchten und – ähnlich der beim Kastell Oberstimm (bei Ingolstadt) nachgewiesenen Anlage - dort auch eine Schiffslände einrichteten, vielleicht auch mit ähnlich wie den beiden in Oberstimm gefundenen Schiffen auf der Donau patroullierten.
Der römische Historiker Ammianus Marcellinus berichtet für das Jahr 361 n.Chr., dass es Kaiser Julian gelingt, eine zahlreiche Menge an Booten (lembi) für den Transport donauabwärts von 3000 Soldaten zu requirieren. Dies lässt auf regen Schiffsverkehr auf der oberen Donau schließen.
Der Ulmer Chronist Felix Fabri erwähnt für das Jahr 1488/89 Schiffsleute auf der Donau. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bestimmten die „Zillen“ (lat.: navicella) den Schiffsverkehr. Dies sind sehr einfach gebaute Boote, zumeist aus Lärchen- oder Fichtenholz, vorne (häufig auch hinten) spitz zulaufend, mit senkrechten Wänden und flachem Schiffsboden, deshalb mit ganz geringem Tiefgang, der das Anlegen auf jeder noch so flachen Kiesbank erlaubte. Ursprünglich dienten die etwa 5 m langen Boote vor allem der Fischerei, während der Warenverkehr mit Flößen bewerkstelligt wurde. Dies hatte allerdings den Nachteil, dass für Flöße sehr viel Holz benötigt wurde und dass sie schwerer lenkbar waren, die Reise donauabwärts damit auch länger dauerte. Daher warben die Ulmer nach einem ersten, ergebnislosen Versuch im Jahre 1542 schon im Jahr 1570 Schiffsbaumeister aus dem bayerischen Donaugebiet an, sogenannte „Schopper“, die ihnen halfen bei der Konstruktion eines größeren Schiffstyps, einer sog. „Plätte“ (lat. plata navis). Diese Boote waren anfangs 22 m lang und 3 m breit, gegen Ende des 19. Jh. erreichten sie bis zu 30 m Länge und 7,5 m Breite und ein Ladevermögen von bis zu 200 Tonnen. Sie trieben mit der Stömung flussabwärts und wurden gelenkt durch je ein überlanges Ruder an jeder der vier Ecken. In der Mitte befand sich eine Hütte zum Schutz der wertvollen Ladung bzw. als Unterstand für die Passagiere. Die Fahrt von Ulm nach Wien dauerte je nach den Strömungsverhältnissen etwa 8 – 10 Tage.
Die Ulmer Schiffsmeister galten als sehr zuverlässig, zumal sie bei Nebel oder (Ost-)Wind aus Sicherheitsgründen lieber am Ufer anlegten und eine Besserung der Wetterverhältnisse abwarteten. Von seltenen Ausnahmen abgesehen, wurden diese Schiffe nur zur Fahrt donauabwärts benutzt, am Zielort wurde dann das Holz – für 40 – 60 Gulden bei einem Herstellungspreis von 300 Gulden (1830) – an die „Plättenschinder“ als Brenn- oder Bauholz verkauft. Da die Boote auch aus diesem Grunde sehr einfach konstruiert waren, wurden sie von den Schiffsleuten auf dem Neckar verächtlich „Schachteln“ genannt, und da sie wie die Ulmer Stadtfarben schwarz/weiß bemalt waren, setzte sich im Laufe der Zeit der Name „Ulmer Schachteln“ für diese Boote durch. Die Ulmer Schiffsleute protestierten vergeblich gegen diese herabsetzende Bezeichnung. Diese Boote wurden auch „Ordinari-Schiffe“ genannt, weil sie seit 1712 – außer im Winter - regelmäßig mindestens ein Mal in der Woche in Ulm ablegten und über Regensburg, Passau, Linz nach Wien fuhren, bzw. weiter nach Budapest oder Belgrad.
Transportiert wurde hauptsächlich Leinen, das begehrte Ulmer Barchent und Wein, aber auch Spielkarten und Hostien, ebenso Schnecken, die in Österreich als Fastenspeise begehrt waren.
Einen Höhepunkt für den Ulmer Schiffsverkehr stellte im Oktober 1745 die Einschiffung des Kaiserpaars Franz I und Maria Theresia dar. Von den Krönungsfeierlichkeiten in Frankfurt kommend, bestiegen sie in Ulm die 32 innerhalb von nur drei Wochen zusammengebauten Schiffe zur bequemeren Weiterfahrt nach Wien.
Mehrfach gewannen die „Ulmer Schachteln“ Bedeutung für den Truppentransport, so z.B. im Jahr 1683 auch bei der Beförderung von 5000 Landsknechten des Schwäbischen Kreises zum Entsatz der von den Türken belagerten Stadt Wien.
Vor allem aber dienten sie ab dem 18. Jahrhundert Tausenden von „Donauschwaben“, die zur Besiedlung der nach den Türkenkriegen großenteils entvölkerten Gebiete Südosteuropas angeworben worden waren (1689 erstes „Kaiserliches Impopulationspatent“) und sich in Ulm einschifften, zur Weiterfahrt donauabwärts nach Ungarn, Serbien und Rumänien. Bis zum josefinischen Toleranzedikt von 1781 waren dies überwiegend Katholiken. Der Ulmer Rat duldete diese Vorgänge übrigens nur mit großem Misstrauen und verbot das Anwerben und die Beförderung Ulmer Bürger nach Ungarn. Eine „Schachtel“ transportierte dabei bis zu 200 Auswanderer zu einem Fahrpreis von je 1 Gulden, 30 Kreuzer.
Eine zweite Auswanderungswelle folgte zwischen1804 und 1818 ins Mündungsgbiet der Donau, von dort auch weiter nach Bessarabien bis in den Kaukasus. Diese 2500 km lange Fahrten waren sehr entbehrungsreich und forderten zahlreiche Tote, vor allem wegen der katastrophalen hygienischen Verhältnisse auf den drangvoll eng besetzten Booten.
Insgesamt rechnet man mit bis zu 200 000 Auswanderern.
Im Jahr 1570 gelang es den evangelischen Ulmern über einen katholischen Mittelsmann, dem hochverschuldeten Abt von Ochsenhausen die waldreiche Herrschaft Wain abzukaufen und damit den Holzbedarf der Ulmer Flößer und Schiffsbauer zu sichern. Etwa 5000 Flöße kamen jährlich die Iller abwärts nach Ulm, von denen etwa 1/10 donauabwärts weiter fuhr.
Zusammengebaut wurden die Ulmer Schachteln auf dem rechten Donauufer auf den „Schopperplätzen“, wo sich heute das Edwin-Scharff-Haus befindet. Dieser Uferstreifen mit den Schopperplätzen und einem Holzhandelsplatz blieb trotz der napoleonischen Grenzziehung auch nach 1810 in Ulmer Besitz, was in einem Vertrag vom 5. August 1821 ausdrücklich bestätigt wurde. „Schoppern“ bedeutet die Abdichtung der Fugen mit trockenem, im Wasser aufquellendem Moos und wurde meist von Frauen erledigt. Sobald eine „Schachtel“ Ulm verlassen hatte, wurde die nächste gebaut. Die Schiffsführer, „Meister“ genannt, wurden jeweils für das folgende Jahr durch das Los bestimmt. Bei der Meisterprüfung wurde die Fähigkeit von Lesen, Schreiben und Rechnen verlangt, ebenso Kenntnisse im Schiffsbau und im Zurichten der Bretter. Außerdem musste der Prüfling ein Schiff sicher bis nach Günzburg steuern, ehe er sich „Jungmeister“ nennen durfte.
Die Ulmer Schiffslände befand sich auf dem „Schwal“, auf der Insel, die seit 1810 zu Bayern gehörte. Begünstigt durch Zollabkommen, nach 1850 auch durch den Anschluss Ulms an die Eisenbahnverbindung nach Stuttgart, nahm ab den 30er Jahren auch von Ulm aus der Frachtverkehr auf der Donau deutlich zu. Von einem Minimum von lediglich 10.000 Zentnern in den 20er Jahren erreichte er im Jahre 1856 mit 125.912 Zentnern einen absoluten Höchststand. Transportiert wurden vor allem Eisen, Stahl und andere Metallwaren, aber auch Wein, Käse, Tabak und Kaffee, die großenteils in Ulm von der Eisenbahn aufs Schiff umgeladen wurden, ebenso die Briefpost. Für 1 Zentner wurde ein Frachtpreis von etwa 2 Gulden berechnet, Personen zahlten im vorderen, mit Bänken ausgestatteten und beheizten, Teil der Hütte zwischen 12 und 15 Gulden, im hinteren 4 Gulden. Vorübergehend gewann auch der Warentransport stromauf an Bedeutung, vor allem in den 40er Jahren mit einem Höchststand von über 40.000 Zentnern. Allerdings mussten die Schiffe mit großem Aufwand von Zugtieren mühsam stromauf gezogen („getreidelt“) werden.
Durch die Konkurrenz der Eisenbahn wurde der Warentransport auf der Donau dann aber immer unrentabler. Die letzte Ulmer Transportzille legte am 27. April 1897 in Ulm ab.
Vorübergehend wiederbelebt wurden die Schachtelfahrten von privaten Liebhabern schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Nach der Unterbrechung durch den Ersten Weltkrieg startete 1924 auf Initiative des Ulmer Verkehrsverein die Schachtel „Deutschland“, um die politische Verbundenheit mit Österreich zu dokumentieren. Der Verein, aus dem 1926 der „Verein der Donaufreunde“ hervor ging, ließ nun von dem Neu-Ulmer Bauinspektor und Flussmeister Wilhelm Speidel eine neue Art von Schachtel konstruieren, die in drei Teile zerlegt mit der Eisenbahn zurücktransportiert werden konnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde 1953 mit der neu gebauten „Stadt Wien“ diese Tradition fortgesetzt, an welcher sich seit 1961 auch städtische Delegationen beteiligten. Die letzte - vom letzten Ulmer Schiffsbaumeister Eugen Hailbronner - in Ulm gebaute Schachtel war im Jahre 1964 wieder eine „Stadt Wien“, die bis 1982 für die „Gesellschaft der Donaufreunde“ im Einsatz war.

Burckhard Pichon (Oberstudienrat i.R.)