Fischerstechen

© Stadtarchiv Ulm
Fischerstechen 1836
Die älteste amtliche Nachricht von einem Fischerstechen ist ein Ratsprotokolleintrag vom Freitag, dem 20. Februar 1545. Darin wird das Stechen, das die Fischer veranstalten wollten, verboten. Der von den Fischern ins Auge gefasste Termin war der Sonntag, bis zu dem die Fastnacht währte. Weder ist überliefert, woher die Fischer den auch andernorts bekannten Brauch übernommen haben, noch ist ihr Motiv bekannt. Allerdings waren Turnierspiele, ritterlich wie parodistisch, zur Fastnachtszeit europaweit üblich. Die Termine der späteren Jahre belegen eindeutig, dass das Ulmer Fischerstechen zur Fastnachtszeit stattgefunden hat, wie der Chronist Sebastian Fischer, der am 6. März 1549 Zuschauer des Spektakels war, berichtet.
Der Ablauf des Fischerstechens hält sich an die Tradition. Die Tambours in ihren roten Röcken rühren die Trommeln. Von beiden Ufern der Donau stoßen die Stecher- Zillen ab. Jeweils drei Fahrer lenken die Boote aufeinander zu. Auf deren Heck stehen die Stecher, gestützt auf ihre 2, 80 Meter langen Lanzen, „Speere“ genannt. Wenn die Zillen einander begegnen, heben die Stecher ihre Speere und zielen mit dem ledergepolsterten Knauf an der Spitze auf die Brust des Gegners. Die Regeln sind einfach: Wer ins Wasser oder ins Boot fällt, hat verloren. Der Stecher, der stehenbleibt, ist „trocken“ geblieben, hat gesiegt und kommt in die nächste Runde. Sind beide trocken, endet die Runde unentschieden. Es wird so lange gestochen, bis einer gewonnen hat.
Die Namen der Teilnehmer verweisen auf Gestalten aus der frühneuzeitlichen Fastnacht. So sind Bauer und Bäuerin sowie das Narrenpaar vertreten, da Bauern für die Städter der Inbegriff der Tölpelhaftigkeit waren. Ebenso dürften die Figuren des Weißfischers auf die Anfänge des Stechens zurückgehen, da diese nach ihren weißen Gewändern bezeichnet sind, in denen sie zum Turnier antreten. Es gibt noch die Variante des „Weißfischers im Festanzug“, dessen Rock rot ist. Diese Kleidung ist ein Verweis auf den Ursprung des Stechens zu Fastnacht, denn die Gesellschaften der verschiedenen Handwerke bevorzugten für ihre fastnächtliche Brauchübung weiße Kleidung.
Der Fastnachtsbrauch der Fischergesellen unterschied sich in mehrfacher Hinsicht von dem der anderen Gesellenschaften. Zum einen war es ein Härtetest, sich im Februar in die eiskalte Donau stoßen zu lassen, zum anderen hatte das Stechen die Form eines Zweikampfes, an dessen Ende ein Sieger stand. Es war ein Sportereignis mit Nervenkitzel und diente als Schauveranstaltung für hohe Gäste von auswärts. Zudem war dieses Stück lokaler Folklore für die Fischergesellen lohnenswert, da sie sich durch ihre Teilnahme an diesem bewunderungswürdigen „Abhärtungsnachweis“ hervortaten. Die Weberknappen zogen „nur“ herum und die Schustergesellen brachten „nur“ ihr Licht zur Donau. Der Gewinn des Stechens war für die meist ledigen Teilnehmer daher vor allem von immaterieller Natur, da er ihnen Bewunderung der Damenwelt verschaffte. Die Veranstaltung wurde zudem vor hohen Gästen vorgeführt. So traten die Fischer am 3. Juli 1550 vor Kaiser Karl V. auf, der damals mit seinem Sohn Philipp in Ulm weilte. Auch das erste Stechen im 17. Jahrhundert (1611) wurde vor illustren Gästen gestochen, Herzog Julius Friedrich von Württemberg und sein jüngster Bruder waren anwesend. Da dieser Besuch außerhalb des Frühjahrs fiel, fand das Turnier am 15. September statt. Neben der Stärkung des Gruppengeistes und der Aufbesserung der Kasse, schien das Fischerstechen das einzige Spektakel gewesen zu sein, das Ulm auswärtigem hohen Besuch zu bieten hatte.
In den Jahren 1616 und 1617 unternahmen die Fischergesellen weitere Versuche, ihr Turnier am Aschermittwoch abhalten zu können. Die Obrigkeit verweigerte den Termin aus Sorge um die Gesundheit der jungen Leute und verwies die Fischerburschen auf ein späteres Datum im Jahr. Die „Verwilligung“, also die Genehmigung des Fischerstechens durch den Oberbürgermeister wurde damals nicht genehmigt. Noch heute wird die „Verwilligung“ am Donnerstag vor dem Stechen zelebriert. Hierzu begibt sich eine Abordnung der Schifferzunft zum Oberbürgermeister. Eutzutage bringen die Fischer ihren ebenso schmuckreichen wie unpraktischen Zunftpokal mit, den „Willkomm“. Aus diesem muss des amtierende Stadtoberhaupt einen Schluck nehmen, sobald es das Stechen „verwilligt“ hat. Die Fischerburschen von 1617 durften schließlich am Montag nach der ulmischen Kirchweih am letzten Juliwochenende stechen. Im Februar 1619 unternahmen die Gesellen den letzten Versuch, ihr Fest am Aschermittwoch ausüben zu dürfen. Die Ablehnung bezog sich auf das ganze Jahr. Es folgte eine dreißigjährige Pause des Fischerstechens. 1705 wurde der „Schwördienstag“ zum Tag des Fischerstechens. Damit wurde das Fischerstechen mit einer reichsstädtischen Tradition verbunden, da am Montag nach den jährlichen Ratswahlen im August die männliche Bevölkerung ihren Eid auf die reichsstädtische Verfassung schwor.
Als Ulm 1802 ins Kurfürstentum Bayern einverleibt wurde, verlor es seinen Status als Reichsstadt, den Schwörtag und damit den Anlass, an den das Fischerstechen geknüpft war. Im Laufe des 19. Jahrhunderts veränderte sich deshalb der Rahmen des Stechens. So löste das Turnier von 1818 eine respektable Reihe musikalischer Aktivitäten aus. Eine weitere Neuerung war, dass das Stechen nicht durch hohen Besuch veranlasst war. Der hohe Besuch reiste extra nach Ulm, um das Stechen zu erleben, in diesem Falle das württembergische Königspaar. Ein solches Verhalten wertete die Ulmer Fischer auf. Feiern an und auf der Donau in Gestalt von Wasserfahrten und Wasserpantomimen wurden im Laufe der Jahre vielfältiger. Der Fremdenverkehr hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch das Fischerstechen entdeckt und führte 1927 das offizielle Nabaden ein.
Auch an großen Stadtfesten fehlte das Fischerstechen nicht, so 1877 anlässlich des 500. Jahrestags der Grundsteinlegung zum Münster. Dieses Ereignis bescherte den Stechern eine neue Figur: Faust und Mephisto nähern sich einander auf der Donau und als schwäbisches Gegensatzpaar wurden Ober- und Unterländer neu eingeführt. Ebenso sind mit dem Ulmer Spatz und dem Schneider von Ulm Figuren aus der lokalen Überlieferung hinzugekommen
Die Nationalsozialisten belebten die spezifische Ulmer Festform wieder, indem sie ab 1935 den Schwörmontag mit dem Fischerstechen und dem Bindertanz verbanden, die nun im Sinne der nationalsozialistischen Blut- und Boden- Ideologie umgedeutet wurden. Als weiteres Paar traten beim Fischerstechen nun der „jüdischer Hypothekenvermittler“ gegen das „schwäbische Bäuerlein von der Alb“ an.
1949 gelang es Oberbürgermeister Theodor Pfizer, die reichsstädische Tradition des Schwörmontags als Teil des neuen demokratischen Verfassungslebens in Ulm zu verankern. Die Verbindung mit dem Fischerstechen und dem Bindertanz wurde beibehalten und hat sich zu dem bis heute bekannten Festkanon weiterentwickelt.
Seit 1950 wird das Fischerstechen alle vier Jahre ausgetragen. Als Termin haben sich die beiden Sonntage vor dem Schwörmontag, der auf dem vorletzten Montag im Juli liegt, eingebürgert. Zudem findet ein vormittäglicher Festzug statt. Gegen 10 Uhr sammeln sich die etwa 300 Teilnehmer in ihren Kostümen auf dem Saumarkt. Dort führen das Narrenpaar sowie Bauer und Bäuerin ihren Tanz auf, wobei der weibliche Part von einem Mann gemimt wird. Dem Zug voraus reiten Ulmische Freireiter in blauer Uniform aus dem Jahre 1693, gefolgt von den Ulmischen Gens d’armes zu Pferd in ihren roten Röcken aus dem Jahre 1745. Die Blaskapellen tragen die blauen Uniformen der Ulmer Stadtsoldaten aus der Zeit um 1770/1780. Die Monturen der Tambours, die vormittags die Narrentänze und nachmittags das Stechen begleiten, sind aus der Zeit um 1740. Ursprünglich diente der Umzug dem Sammeln von Gaben und Spenden. Im Zug marschieren dann der Zunftmeister, die Fischermädchen, Jungfischer, Kindergruppen und die Fischerfrauen.
Katharina Remke (Studienrätin)