Geldbeschaffung im 19. Jahrhundert
Die Unternehmer, welche im 19. Jahrhundert den
wirtschaftlichen Aufschwung Ulms prägten, stammten in der Regel aus dem
Handwerkerstand. Da es im Gegensatz zu Städten wie Frankfurt oder Augsburg in
Ulm noch keine Banken gab, finanzierten sie ihren Aufstieg bis weit in die
zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein auf privater Basis: durch vorhandenes
Eigenkapital oder durch Unterstützung von – teils auch angeheirateten –
Verwandten, von Freunden oder anderen Fabrikanten. Für auswärtige Investoren
war die industrielle Entwicklung in Ulm noch weniger interessant.
„In nicht geringem Maße“ (Schaller) beteiligt an der
Finanzierung war auch die reiche Ulmer Hospitalstiftung, die immer wieder mit
Krediten aushalf, z. B. mit 22.500 fl im Jahr 1873 für die Pflugmaschinenfabrik
Eberhardt. Auch der Verwalter der Hospitalstiftung (von 1811 bis 1852), Senator
Conrad Dieterich, einer der reichsten Männer der Stadt, trat mit seinem
Privatvermögen wiederholt als Kreditgeber auf. Sein Schwiegersohn, der junge
Apotheker Gustav Leube, verdankt seinen Aufstieg zum bedeutenden
Zementfabrikanten wesentlich Dieterichs finanzieller Unterstützung.
Messingfabrikant Wieland, dem sein Vater als Besitzer der Gold-Ochsen-Brauerei
für 3.000 fl die Glockengießerei in der Rosengasse gekauft hatte, konnte sich
bei seinen Investitionen auch auf seine Stuttgarter Schwäger und auf einen
größeren Kredit des reichen Tabakfabrikanten Wechsler verlassen, der
Feuerwehrpionier Magirus auf seine italienische Verwandtschaft. Die Brüder
Eberhardt bekamen für ihre Pflugfabrik Kredite des befreundeten Hutfabrikanten
Mayser und von Magirus. Der Sohn des Firmengründers Schwenk konnte seinen Ulmer
Kupferhammer nach der Heirat mit einer Tochter des Verlegers Ebner zur
bedeutenden Produktionsstätte von
Fertigbetonteilen ausbauen.
In der Folge des technischen Fortschritts gab es in Ulm
speziell in den 1830er Jahren auch einige Ansätze zur Neugründung von größeren
Unternehmungen. Als im Dezember 1835 einflussreiche Ulmer Bürger die Gründung
einer „Ulmer Eisenbahn-Gesellschaft“ beschlossen, beteiligte sich auch die
Stadt mit Aktien im Wert von 100.000 fl, zahlreiche Bürger zeichneten
fünfstellige Beträge. Von dem Gesamtbestand in Höhe von 2.335.200 fl waren im
Folgejahr mehr als ein Drittel in Ulmer Besitz. Die Gesellschaft löste sich
allerdings zwei Jahre später wieder auf, und bald darauf übernahm Württemberg
den Eisenbahnbau in staatliche Regie.
Als im gleichen Monat Dezember 1835 zur Zeichnung von Aktien
der „Ulmer Dampfschiffahrts-Gesellschaft“ aufgerufen wurde, kam innerhalb
kurzer Zeit mühelos die projektierte Summe von 60.000 fl zusammen. Auch die
Aktien der 1840 gegründeten Nachfolgerin, der „Ulmer Aktiengesellschaft für die
Dampf- und Ruderschifffahrt auf der Donau“, wurden mit einem Grundkapital von
zunächst 70.000 fl fleißig gezeichnet. Allerdings stand dieses Unternehmen
unter keinem guten Stern, und als das 1846 von den Ulmern gebaute Schiff 1852
wieder verkauft wurde, hatten die Aktionäre 78 % ihres Einsatzes von zuletzt
300.000 fl verloren.
Noch verlustreicher gestaltete sich das Schicksal der
„Runkel-Rüben-Zucker-Gesellschaft“, die am 28. Februar 1836 von einer Gruppe
angesehener Ulmer Geschäftsleute gegründet wurde, an ihrer Spitze Leube, der
von den 100.000 fl alleine 10.000 gezeichnet hatte. Auch die Stadt war mit
5.000 fl beteiligt. Mit dem wegen Erfolglosigkeit notwendig gewordenen Verkauf
des Unternehmens im Jahre 1839 hatten die Aktionäre 98 % ihres Einsatzes
verloren.
Die Beispiele zeigen, dass zu dieser Zeit in Ulm durchaus
Kapital vorhanden war, das aber infolge der durch Rayonbestimmungen und
Energieknappheit beschränkten Entwicklungsmöglichkeiten noch zu wenig
Einsatzmöglichkeiten fand.
Erfolgreicher war im Jahre 1859 die „Mechanische Weberei
Ulm“ (MWU), zunächst mit einem Gesamtkapital von 300.000 fl. Der Ulmer
Maschinenbauer Johann Georg Krauß hatte in die Aktiengesellschaft seine
Baumwollweberei in der Spitalmühle eingebracht, die dort wegen mangelnder
Energie nicht konkurrenzfähig erschien. Als die MWU in Krauß’ Mühle am
Illerkanal im bayerischen Ay (heute ein Ortsteil von Senden) umzog, entwickelte
sie sich – mit ihrem Firmensitz in Ulm - mit einem Aktienkapital von nunmehr
500.000 fl bald zu einer der größten Aktiengesellschaften Württembergs.
Zur Unterstützung von in finanzielle Bedrängnis geratenen
Handwerkern gab es um die Mitte des 19. Jahrhunderts verschiedene Ansätze zur
Gründung eines Kreditinstituts. Auf Initiative des Bezirkswohltätigkeitsvereins
entstand bereits 1847 ein „Sparverein für das Oberamt Ulm“, der 1853 vom
Oberamt als Anstalt des öffentlichen Rechts übernommen wurde. Aus ihm ging
später die Kreissparkasse hervor, 1906 erfolgte die Gründung der
Stadtsparkasse. Gleichzeitig gab es seit 1843 verschiedene Ansätze von Ulmer
Gewerbetreibenden, an ihrer Spitze Wieland und Leube, in Not geratenen
Handwerkern den Zugang zu günstigen Krediten zu ermöglichen. 1863 rief der seit
1847 bestehende Ulmer Gewerbeverein zusammen mit der Ulmer Bürgergesellschaft
die „Gewerbebank zu Ulm“ ins Leben. Erklärtes Ziel war es nach den Worten ihres
Vorsitzenden, die Konkurrenzfähigkeit des Mittelstandes gegen die „große
Industrie“ durch zinsgünstige Kredite zu stärken. Nach längeren Diskussionen hatte
man sich gegen das Modell einer Aktiengesellschaft für ein (steuerbegünstigtes)
Geschäftsmodell auf genossenschaftlicher Basis entschieden. Ihre Geschäftsräume
waren zunächst im Haus ihres Kassierers Klemm am Münsterplatz (wo sich heute
die Deutsche Bank befindet), seit 1905 sind sie als Ulmer Volksbank an der Ecke
Frauenstraße/Olgastraße. Zu dieser Zeit war sie nach bescheidenen Anfängen mit
der Einlage von 204 Mitgliedern in Höhe von 13.495 fl (1864) zur größten
Genossenschaftsbank in Württemberg herangewachsen mit über 1.300 Mitgliedern
und Einlagen in Höhe von 1,4 Millionen Mark.
Als in den 1870er Jahren die „Reichsbank“ (vorher
„Preußische Bank“) ihr Zweigstellennetz ausbaute, erreichte die
württembergische Regierung, dass neben der Hauptstelle in Stuttgart nach
anfänglichem Zögern auch in Ulm (ebenso in Heilbronn und Reutlingen) eine
Zweigstelle eingerichtet wurde, die am 1. Januar 1876 ihre Schalter
öffnete.
Anmerkungen:
Für einen Maurer- oder Zimmerergesellen bestimmte der Ulmer
Stadrat im Oktober 1819 einen Tageslohn
von 36 kr im Sommer und 32 kr im Winter, womit er auf einen Jahresverdienst
von geschätzten 143 fl 52 kr kam. In
Rücksicht auf die gestiegenen Lebenshaltungskosten wurde der Tageslohn der
Maurer- und Zimmergesellen bis 1849 auf 56 kr im Sommer und 50 kr im Winter
angehoben.
Der württembergische Gulden hatte ein Gewicht von 9,545 g,
ebenso wie der badische und der bayerische. Nach der Münzangleichung vom Jahr
1857 mit den neuen preußischen Vereinstalern (16,667 g) hatte er ein Gewicht
von 9,542 g. Nach der Reichsgründung wurde 1876 der süddeutsche Gulden mit
einem Umtauschwert von 1 5/7 in die neue Mark umgerechnet.
Burckhard Pichon (Oberstudienrat i.R.)