Zementindustrie
Ulm als Zentrum der württembergischen Zementindustrie im 19. Jahrhundert

© Stadtarchiv Ulm
Briefkopf der Firma Schwenk-Cement von 1909
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Ulm das
Zentrum der württembergischen Zementindustrie. Die beiden in Ulm ansässigen
Firmen Gebr. Leube und Schwenk beschäftigten um 1870 allein 40 % aller in der
württembergischen Zementindustrie beschäftigten Arbeiter. Gebrüder Leube
produzierte im Jahr 1874 allein 40 % der insgesamt 668.000 Zentner. In allen
Zementfirmen im Alb-Donau Raum zusammen genommen waren im Zeitraum bis etwa
1914 etwa 80 % aller württembergischen Zementarbeiter tätig.
Als Ausgangsmaterial für die Herstellung von Zement benötigt
man eine Mischung aus etwa 70 % kohlensaurem Kalk und 25 % Ton, zusammen mit
einer geringen Menge weiterer Stoffe wie z.B. Vulkanasche, Bittererde oder
Eisenoxyd.
Diese Bestandteile werden grob zerstampft, dann bei hohen
Temperaturen gebrannt und schließlich fein gemahlen und - um die Aushärtung zu
verzögern - mit Gips vermischt in Säcke abgefüllt. Mit Wasser angerührt und in
eine Verschalung gegossen, ergibt das Produkt
einen sehr harten und vor allem wasserbeständigen Baustoff.
Die Römer nannten ihn „opus caementitium“ und erkannten seine besondere Eignung
für den Bau von Hafenanlagen. Aber auch die über 43 Meter frei spannende Kuppel
des Pantheon-Tempels in Rom ist hergestellt mit von Ziegeln ummauertem Zement.
Um 1800 herum wurde dieses Verfahren wieder entdeckt und
zunächst als „hydraulischer Kalk“ oder auch „Roman-Zement“ bezeichnet. Als noch
härter erwies sich der im Jahre 1824 patentierte „Portland-Zement“ des
Engländers Joseph Aspedin, benannt nach dem an der englischen Südküste auf der
Halbinsel Portland abgebaut Kalkstein. Durch die Beigabe von Kies oder
Bruchsteinen erhält man Beton. Noch härter wird der Baustoff durch die von dem
französischen Ingenieur Joseph Monier erfundene und 1878 patentierte Einziehung
von Eisenstäben.
Die württembergische Regierung schickte seit den 20er Jahren
des 19. Jahrhunderts auf Veranlassung König Wilhelms I. mehrfach Beobachter
nach England mit dem Ziel, in Württemberg eine eigene Zementproduktion ins
Leben zu rufen – allerdings zunächst erfolglos, da in Württemberg die
notwendigen Rohstoffvorkommen zu fehlen schienen.
Als erster entdeckte der Blaubeurer Maurer Daniel Weil im
Jahre 1834, dass Material aus seinem Steinbruch bei Gerhausen zur Herstellung
von „hydraulischem Kalk“ geeignet war, und er begann 1838 mit der gewerblichen
Herstellung von Zement.
Als eigentlicher Pionier der Zementfabrikation gilt
allerdings zu Recht der Ulmer Apotheker Gustav Leube (1808 – 1881). Nachdem er
ab 1832 umfangreiche Untersuchungen der Gesteinsformationen auf der Ulmer Alb
durchgeführt hatte, erwarb Leube zusammen mit seinem Bruder im Mai 1838 in
Ehrenstein für 800 Gulden eine Mühle mit zugehöriger Wasserkraft (40 PS
Leistung) und installierte dort zunächst einen Brennofen. Mit der
Fertigstellung des Stampfwerkes konnte am 15. August 1839 die Zementproduktion
beginnen. Das Material stammte aus seinen Steinbrüchen in Eggingen und
Pappelau, es wurde mit Pferdefuhrwerken angefahren und anfangs nach dem Brand
noch mühsam per Hand sortiert. Leubes erster größerer Auftrag war 1840 die
Lieferung des Zements für die Renovierung des Fußbodens im Ulmer Münsters, 1844
folgte die erste Lieferung von 2.600 Zentnern für den Bau der Bundesfestung in
Ulm. Weitere Aufträge schlossen sich an, ab 1848 auch für den Bau des
bayerischen Teils der Festung in Neu-Ulm.
Der Bau der Bundesfestung (die allerdings im Wesentlichen
aus Kalksteinen gemauert ist) bedeutete neben dem etwa gleichzeitigen Bau der
Eisenbahnlinien mit ihren Brücken und Bahnhöfen den wesentlichen Anschub für
die Ulmer Zementindustrie und damit die gesamte wirtschaftliche Entwicklung der
Stadt. Der Güterverkehr auf der Schiene ermöglichte ab 1850 nicht nur einen preisgünstigen Transport des
Zements zum Verbraucher, sondern vor allem auch das Heranschaffen von
kostengünstiger Steinkohle, welche ab den 1860er Jahren zum Brennen von
Portland-Zement und zum Betrieb von Dampfmaschinen unverzichtbar war.
Die profitablen Aussichten für die Zementproduktion lockten
auch zahlreiche Mitbewerber an. Der Messingfabrikant Eduard Schwenk erwarb die
ehemalige Söflinger Klostermühle (mit drei Mahlgängen und einer Leistung von 40
PS) und begann 1847 mit der
Zementproduktion, ebenfalls vorzugsweise für die Bundesfestung und den Ulmer
Bahnhof. Als einer der ersten nutzte er die Transportmöglichkeiten der
Eisenbahn und lieferte ab 1850 Zement in die Schweiz, vor allem für den Bau des
Bodenseehafens in Romanshorn. 1854 erwarb Schwenk in Gerhausen und Allmendingen
eigene Steinbrüche, ließ das gebrannte Material aber trotz der hohen
Transportkosten für die Pferdefuhrwerke bis 1869 weiterhin in Söflingen mahlen.
Allmählich konzentrierte sich allerdings die Zementproduktion ganz auf den Raum
um die Steinbrüche in Gerhausen/Blaubeuren und Allmendingen/Schelklingen, wo
den beiden Ulmer Firmen neben einigen kleineren Firmen zwei gleichwertige
Konkurrenten heranwuchsen mit den Firmen Spohn (1939 von „Heidelberger Cement“
übernommen) und der „Stuttgarter Zementfabrik“. Die Firmen wurden größer, die
durchschnittliche Zahl der Arbeiter pro Betrieb stieg von anfangs 2 (1860) über
10 (1882) auf 85 zum Ende des Jahrhunderts. Leistungsfähigere, von den Ziegeleien
her bekannte, Ringöfen wurden eingeführt statt der bislang üblichen
Schachtöfen. Dampfmaschinen mit einer Leistung von bald über 1.000 PS (um 1900)
ergänzten bzw. ersetzten zunehmend die bislang genutzte, aber nur begrenzt zur
Verfügung stehende Wasserkraft der Blau (insgesamt bloß 340 PS). Dabei
lieferten sich verschiedenen Firmen einen teilweise erbitterten Konkurrenzkampf
(durch einen ruinösen Preiskampf, Verächtlichmachung des Konkurrenzprodukts,
Grundstückspolitik u.a.). Leube konnte diesem Druck nicht standhalten, zumal
seine Steinbrüche so gut wie erschöpft waren. Bald nach seinem Tod fusionierte
1883 seine Firma mit den „Stuttgartern“. Am 12. April 1884 verschwand die Firma
Leube aus dem Ulmer Firmenregister. Schwenk dagegen gelang es, gegen die
Störversuche der „Stuttgarter“ Konkurrenten im April 1887 einige für die
weitere Entwicklung entscheidende Grundstücke in Allmendingen in seine Hand zu
bringen.
In den 1880er Jahren erlebte die Zementindustrie noch einmal
einen Boom mit jährlichen Steigerungsraten von teilweise 30 %. Das lag
einerseits an dem wachsenden Bedarf der kommunalen Auftraggeber für den Neubau
von Krankenhäusern, Schulen, Elektrizitäts- und Gaswerken,
Kanalisationsarbeiten u.a.. Andererseits gab es auch einen wachsenden Bedarf
privater Auftraggeber, deren repräsentative Villen und Wohngebäude durch in
Beton gegossene Fertigteile wie z.B. feuersichere Treppen, aber auch
Schmuckelemente, sogar ganze Figuren, wesentlich kostengünstiger und
witterungsbeständiger als bisher hergestellt werden konnten. Zu diesem Zweck
wurde 1886 die Metallverarbeitung in Schwenks Kupferhammer aufgegeben und das
Werk mit 300 Beschäftigten ganz auf die Herstellung von Betonfertigteilen
umgestellt. Ulm galt vor dem 1. Weltkrieg in der Fachwelt als „Metropole der
Kunststeinindustrie in Deutschland“.
Zu dieser Zeit verdiente ein Prokurist bei Schwenk 1.200
Mark jährlich und der Firmenbesitzer selber 3.000 Mark. Wegen des akuten
Arbeitskräftemangels ließ Schwenk - wie andere Firmen auch - für seine Betriebsangehörigen
Wohnhäuser bauen, die zu einem Jahreszins von 70 Mark vermietet wurden,
zusammen mit einem kleinen Gärtchen, dessen Erträge zur Nahrungsaufbesserung
genutzt werden konnten. Bekannt ist seine nach ihm benannte Siedlung
„Schwenkweiler“ in Allmendingen. Außerdem unterstützte die Firma Kindergärten
oder unterhielt sie, gründete Fabrikkrankenhäuser, in denen auch
Familienmitglieder versorgt wurden, betrieb dazu eine Betriebskrankenkasse und
einen Pensionsfond.
Die Gründung der
„Süddeutschen Cementverkaufsstelle“ im Jahre 1903, einem der damals weithin
üblichen Kartelle, welche in der Folgezeit die Preise und die Liefergebiete der
Zementproduzenten festlegte, sorgte vorübergehend für eine Beruhigung des
Wettbewers, allerdings auf Kosten der Verbraucher.
Schwenk behielt seine Unabhängigkeit und ist bis heute,
inzwischen in der sechsten Generation, ein Familienbetrieb mit einem
Jahresumsatz von mehr als 1 Miard. € und insgesamt 3.5000 Mitarbeitern in
seinen Werken in Allmendingen, Mergelstetten (bei Heidenheim ab 1901),
Karlstadt (am Main ab 1937) und Bernburg (Sachsen-Anhalt seit 1990). Jährlich
werden 3,3 Mio Tonnen Zement und 4 Mio Kubikmeter Beton produziert (SWP vom
8.April 2015).
Burckhard Pichon (Oberstudienrat i.R.)