Bundesfestung
Die wirtschaftliche Bedeutung des Baus der Ulmer Bundesfestung (1842 – 1859)

© Stadtarchiv Ulm
Bundesfestung vom Galgenberg aus, um 1860
Einen bedeutenden Wachstumsschub erhielt die Ulmer
Wirtschaft in den 1840/50er Jahren durch den Bau der Bundesfestung in Ulm.
Seit den 1820er Jahren gab es im Deutschen Bund Pläne zur
Errichtung einer Anzahl von Festungen gegen einen möglichen Angriff
Frankreichs. Nach den Erfahrungen der Napoleonischen Kriege sollte als Bewacher
des Donauübergangs Ulm einer der Standorte sein.
Am 26. März 1841 wurde der Bau der Festung Ulm offiziell
beschlossen. Am 18. Oktober 1842 (bezeichnenderweise am Jahrestag der
Völkerschlacht bei Leipzig) erfolgte der erste Spatenstich auf dem Michelsberg,
zwei Jahre später die Grundsteinlegung, gleichzeitig im württembergischen Ulm
und im bayerischen Neu-Ulm. Der Bau der Festung zog sich mit einer
Unterbrechung in den Revolutionsjahren 1848-50 hin bis zum Jahre 1859.
Insgesamt kostete der Bau rund 16 Mio Gulden, die zum überwiegenden Teil von
außen dem Ulmer Wirtschaftskreislauf zu Gute kamen.
Der Bau der Bundesfestung war auch ein wesentliches,
militär-strategisches Argument dafür, dass die etwa gleichzeitig, am 31. Mai
1844, beschlossene Eisenbahnverbindung zwischen Stuttgart und München nicht
durch das Remstal, sondern trotz der Schwierigkeiten des Albaufstiegs über Ulm
verlaufen sollte. Der Eisenbahnbau war in diesen Jahren ein weiterer starker
Motor für die Ulmer Wirtschaft.
Durchschnittlich waren etwa 3.500 Arbeiter auf der Baustelle
der Festung beschäftigt, in Spitzenzeiten bis zu 8.000, vorzugsweise mit
Erdarbeiten. Ein „Schanzer“ kam auf einen Tageslohn von etwa 40 bis 50
Kreuzern, ungefähr so viel, wie ein zünftischer Handwerksgeselle verdiente. Bezahlt
wurde aber nur die wirkliche Arbeitszeit, also keine Feiertage und auch keine Regentage,
an denen nicht gearbeitet werden konnte. Als Maurer waren wegen ihrer Erfahrung
im Festungsbau besonders die 800 Tiroler geschätzt, die auf einen Tageslohn von
80 Kreuzern kommen konnten. Der Lohn wurde vierzehntäglich ausgezahlt, im Monat
August 1846 waren dies z. B. fast 150.000 Gulden. Da die Festungsarbeiter sich
um Unterkunft und Verpflegung selber kümmern mussten, floss diese Summe zum
überwiegenden Teil in den Ulmer Wirtschaftskreislauf. In erster Linie
profitierten diejenigen, die den Festungsarbeitern ein Quartier vermieten
konnten, dazu die Kaufleute und vor allem die Ulmer Gastwirte und Bierbrauer.
Zwischen 1820 und 1850 stieg die Anzahl der Brauereien von 17 auf über 40.
Insgesamt gab es mehr als 400 Gastwirtschaften in der Stadt, darunter
zahlreiche Schanzerwirtschaften in unmittelbarer Nähe der Baustellen. Von
diesem Boom profitierten natürlich auch die Kupfer- und Messingfabrikanten
durch die steigende Nachfrage nach Sudkesseln, Kupferrohren, Zapfhähnen u. a.
m.
Gewinner der ersten Stunde waren jene Ulmer, deren
Grundstücke für den Festungsbau gebraucht wurden. Für die Grundstücksbesitzer
war dieses Geschäft „äußerst lukrativ“ (Schaller), selbst wenn sie
zwangsenteignet wurden. Der Besitzer des „Schwarzen Ochsen“ z. B. erhielt 50.000
Gulden für sein Anwesen, den ehemaligen Reichenauer Hof, in dem auf Ulmer Seite
die Festungsbaudirektion eingerichtet wurde. Dem Kupferhammerbesitzer Schwenk
wurde allerdings der Damm der Festung so unmittelbar „vor die Nase“ gesetzt,
dass ihm damit die bislang freie Aussicht auf das Ulmer Münster versperrt war.
Vor allem aber war ihm durch die Enteignung großer Teile seines weitläufigen
Gartens die Möglichkeit zur Erweiterung seines Betriebs genommen. Auch die
nicht unerhebliche Summe von 12.000 Gulden konnte ihn damit nicht versöhnen.
Angesichts der Nachfrage durch den Festungsbau entschloss er sich 1847, auch in
die Zementfabrikation einzusteigen und legte damit den Grundstein für einen der
bedeutendsten Ulmer Betriebe. Er folgte damit dem Ulmer Apotheker Gustav Leube,
der schon in den 1830er Jahren darauf hingewiesen hatte, dass sich sein
Material aus dem Blautal hervorragend zur Herstellung von Zement eigne,
speziell für den Festungsbau. Bereits im Juli 1844 erhielt er den ersten
Auftrag für die Lieferung von 2.600 Zentner Zement. In der Folgezeit wurde die
Ulmer Zementindustrie führend in Württemberg.
Der Bau der Festung wurde auf Ulmer Seite ausgeführt mit
traditionell gemauerten Kalksteinblöcken, die aus dem Blautal bezogen wurden.
(Die bayerische Anlage wurde aus Ziegelsteinen gemauert, die in einer eigens
dafür installierten Ziegelei in Pfuhl gebrannt wurden.) Zeitweise waren für den
Transport mehr als 100 Pferdegespanne notwendig. Manche traditionellen
Fuhrleute konnten sich in der Folge zu leistungsfähigen Transportunternehmern
entwickeln. Die anfallenden Arbeiten wurden mit einem vorher berechneten
Kostenvoranschlag von Fall zu Fall ausgeschrieben und in der Regel an den
kostengünstigsten Anbieter vergeben Das Angebot lag meistens deutlich unter dem
Kostenvoranschlag. Da es sich bei dem Bau um einen Staatsauftrag handelte,
konnte Festungsbaudirektor v. Prittwitz sich über immer noch gültige Regeln der
Zünfte hinwegsetzen und sämtliche Aufträge auf dem „freien Markt“ ausschreiben.
Auf diese Weise kaufte z. B. die Festungsbaudirektion ihren Zement weitaus
günstiger ein, als die Stadt dafür bezahlen musste. Auch die wiederholten
Bitten der Stadt, bei der Vergabe der Arbeiten statt Auswärtigen stärker Ulmer
Handwerksbetriebe und Arbeiter zu berücksichtigen, stießen bei v. Prittwitz in
der Regel auf taube Ohren. Einer Reihe von Maurer- und Zimmermeistern gelang allerdings
der Aufstieg zum Bauunternehmer, z. B. Maurermeister Hillenbrand, der später
auf die lukrativere Ziegelproduktion umstieg, oder Zimmermeister Berblinger,
der 1864 für Angestellte der Eisenbahn das erste große Ulmer Mietshaus baute.
Auf der anderen Seite verloren aber auch viele bisher selbständige Meister ihre
Unabhängigkeit, indem sie sich - wie auch eine erhebliche Zahl von Ulmer Handwerksgesellen
- als lohnabhängige Erdarbeiter einstellen ließen. Während die Maurer im
Einzelakkord arbeiteten, wurden die Erdarbeiter im Gruppenakkord (zu je 10 bis
20 Mann) bezahlt. Die guten Löhne, aber auch das sehr fortschrittliche System
einer Kranken- und Unfallversicherung machten diese Arbeitsplätze attraktiv.
Als in den Jahren 1848 bis 1850 die Arbeiten vorübergehend ruhten, fanden viele
Einwohner der Stadt einen Arbeitsplatz beim Bau der Eisenbahn.
Der Bau der Bundesfestung brachte allerdings auch viele
Nachteile für die Stadt mit sich, nicht nur die gestiegenen Mietpreise. Die
Einengung durch die Umwallung, vor allem aber auch die damit verbundenen so
genannten Rayonbestimmungen waren der Entwicklung vor allem im Westen und Osten
immer mehr im Wege. In einem Gebiet von 600 Metern vor der Umwallung durften
keine festen Häuser gebaut werden. Damit der Feind dort keine Deckung fand,
hätten sie im Kriegsfall entschädigungslos abgerissen werden müssen.
Verschiedene Anträge der Stadt „wegen Beseitigung der hiesigen Festung“, z. B.
1866 nach der Auflösung des Deutschen Bundes, blieben allerdings jahrelang
erfolglos. Erst gegen Ende des Jahrhunderts wurden diese Vorschriften schrittweise
gelockert, z. B. für den Bau einer Arbeitersiedlung auf dem Gelände der Unteren
Bleiche. Mit dem Vertrag vom 5. Dezember 1899 kaufte die Stadt schließlich vom
Reich eine Fläche von 692.599 m² der bisherigen Umwallung für den Preis von
3.882.980 Mark. Dort entstanden Gewerbebetriebe und repräsentative Wohnhäuser.
(Neu Ulm bekam seine 728.170 m² vom Staat Bayern für die weitaus geringere
Summe von 860.000 Mark.) Der Kaufpreis wurde in Jahresraten zu 194.000 Mark
aufgeteilt. Im Jahre 1923 bezahlte die Stadt schließlich die gesamte Restschuld
mit schon stark entwertetem Inflationsgeld.
Burckhard Pichon (Oberstudienrat i.R.),