Ulmer Schulen im Nationalsozialismus
In seiner
Schrift „Mein Kampf“ aus dem Jahr 1924 hatte Hitler seine Schwerpunkte
schulischer Bildung festgehalten: Eine allgemeine „Überlastung des Gehirns“
durch eine zu große Menge von Lernstoff sah Hitler als Gefahr an. Fremdsprachen
zum Beispiel, namentlich Französisch, seien kein wesentlicher Teil allgemeiner
Bildung. Durch eine Kürzung in derlei Bereichen würde Zeit gewonnen für die
wichtige körperliche Ertüchtigung, aber auch für die Herausbildung einer
fehlenden Nationalbegeisterung. „Humanistische“ Bildung sei nicht grundsätzlich
falsch, müsse sich aber der patriotischen Intention einfügen. Hitler fasst
seine Grundforderung zusammen: „Der völkische Staat wird den allgemeinen
wissenschaftlichen Unterricht auf eine gekürzte, das Wesentliche umschließende
Form zu bringen haben. Darüber hinaus soll die Möglichkeit einer gründlichsten
fachwissenschaftlichen Ausbildung geboten werden. Es genügt, wenn der einzelne
Mensch ein allgemeines, in großen Zügen gehaltenes Wissen als Grundlage erhält,
und nur auf dem Gebiet, welches dasjenige seines späteren Lebens wird,
gründlichste Fach- und Einzelausbildung genießt. (…) Die hierdurch erreichte
Kürzung des Lehrplans und der Stundenzahl kommt der Ausbildung des Körpers, des
Charakters, der Willens- und Entschlußkraft zugute.“
Nach der
nationalsozialistischen Machtübernahme im Januar 1933 wurde begonnen, die
Schulen in vielen einzelnen Aspekten, aber ohne systematischen Ansatz gemäß den
skizzierten Erziehungsvorstellungen umzubilden. Hierfür setzte man auf der
strukturellen und der personellen Ebene an. Das „Gesetz zur Wiederherstellung
des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 bildete die Grundlage für die Entlassung
missliebiger Lehrkräfte. Dies betraf neben Juden vor allem Angehörige bzw.
Anhänger linker Parteien. Der Nationalsozialistische Lehrerbund trat an die
Stelle der bisherigen Lehrerverbände. Bildungsziele und -inhalte wurden nach
und nach einer grundlegenden Revision unterzogen. Eine einheitlich konzipierte
und planmäßig betriebene Bildungspolitik war jedoch auch nach Einführung des
Reichsministeriums für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung und der
Installierung von Bernhard Rust als verantwortlichem Reichsminister im Jahr
1934 noch nicht erkennbar. Eine strukturelle Neuordnung des Bildungssystems auf
der Basis nationalsozialistisher Erziehungsvorstellungen wurde erst ab 1937
erkennbar. Hierzu gehörten die Zurückdrängung der Koedukation, die Schließung
konfessioneller Schulen sowie die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur.
Im Folgenden
werden einige Aspekte dieser Entwicklung auf der kommunalen Ebene
schlaglichtartig beleuchtet. Die ideologische Aufrüstung der Schulen wurde
durch öffentliche Propaganda flankiert. Zeitungsartikel beschworen den
„nationalsozialistischen Geist“ in den Schulen, zum Beispiel durch konsequente
Durchsetzung des Führerprinzips. Die bemerkenswerte Prioritätensetzung
verdeutlicht ein Zitat aus dem Ulmer Tagblatt vom 29.1.1934 (M1): „Der
Schulvorstand ist für den nationalsozialistischen Geist und die Leistungen
seiner Schule verantwortlich.“ Der neue „Geist“ zeigte sich in Äußerlichkeiten
wie Umbenennungen von Schulen. So erhielt das Ulmer Real-Gymnasium (das heutige
Schubart-Gymnasium) 1938 den Namen „Hans-Schemm-Oberschule für Jungen“, nach
Hans Schemm, dem 1935 tödlich verunglückten Gründer des Nationalsozialistischen
Lehrerbundes und bayerischen Kultusminister. Der neue „Geist“ machte sich aber
auch in den vorgegebenen Inhalten bemerkbar. Dabei ist allerdings zu
berücksichtigen, dass selbst bei autoritär ausgerichteten Bildungssystemen
Vorgaben wie Lehrpläne weniger die Unterrichtsrealität abbilden als einen
normativen Anspruch formulieren.
Bestimmte
Fächer, etwa Biologie, waren naturgemäß stärker anfällig für ideologische
Vereinnahmung. „Rassenkunde“ und Vererbungslehre wurden im Lehrplan verankert.
Werke jüdischer Autoren konnten nicht mehr behandelt werden. Im
Geschichtsunterricht wurden die antiken Hochkulturen des Mittelmeerraumes in
den Hintergrund gerückt. Eine Renaissance erlebten dagegen germanische
Heldensagen. Bei der inhaltlichen Ausrichtung übte das Reichsinnenministerium
großen Einfluss aus. Verwaltung und Nationalsozialistischer Lehrerbund trugen
das Ihre zur Durchsetzung bei. Das neue Fach „Weltanschauungsunterricht“ konnte
zunächst statt Religionsunterricht gewählt werden. 1941 wurde dieser aufgehoben
und durch Weltanschauungsunterricht als Pflichtfach ersetzt.
Ein weiterer
Baustein der Ideologisierung waren Alltagspraktiken wie der neu eingeführte
Hitlergruß sowie politische Rituale und Feste, die neben Ansprachen und
Bekenntnissen auch Lieder auf Führer und Vaterland in den Mittelpunkt stellten
(M4).
Derlei
Veranstaltungen sollten die Schülerschaft auf das gewünschte staatskonforme
Denken einschwören. Dem korrespondierte die Ausgrenzung bestimmter
Schülergruppen (M5). Insbesondere jüdische Schüler waren an den öffentlichen
Schulen zunehmender Diskriminierung ausgesetzt.
Die
Vorbereitung auf die Kriegführung zeigte sich einerseits in der Militarisierung
des Unterrichts, etwa durch Drillübungen im Sportunterricht oder durch die
Einübung in den Waffengebrauch für die Jungen (M2), anderseits auch in der
ideologischen Ausrichtung, die entweder auf ganz direkte Art Feindbilder
kultivierte oder mehr oder weniger verdeckt politische Sehnsüchte weckte (M3),
was der kriegsvorbereitenden Politik in die Hände spielte.
In den
Kriegsjahren war der Unterricht in verschiedener Hinsicht stark beeinträchtigt.
Lehrer wurden in großem Umfang zum Kriegsdienst herangezogen. Den Unterricht
hielten ersatzweise pensionierte Lehrkräfte oder Hilfskräfte. Auch
(Oberstufen-)Schüler wurden militärisch eingesetzt, kamen entweder an die Front
oder wurden Luftwaffenhelfer.
In den Kriegsjahren beteiligten sich Ulmer Schüler
vereinzelt an Widerstandsaktionen, wobei eine Verbindung mit den Ulmer Mitgliedern der Weißen Rose bestand. Am Ulmer
Gymnasium traten etwa Heinz Brenner und
Franz Müller hervor. Als Mittel bediente man sich u. a. der Verbreitung von
Flugblättern. Diese Aktionen wurden bis in höchste Justizinstanzen ruchbar. Der
Volksgerichtshof kritisierte anlässlich des 2. Prozesses gegen die Weiße Rose
im Urteil vom 19. April 1943, „daß aus einer Schulklasse drei Schüler (auch
Heinrich Guter) in dieser Sache erscheinen und noch weitere erwähnt wurden! Da
muß etwas nicht stimmen, was am Geiste dieser Klasse liegt […]. Man schämt
sich, daß es eine solche Klasse eines deutschen humanistischen Gymnasiums
gibt!“
Thomas Müller (Schubart-Gymnasium)