Ein kritischer Blick von außen in der späten Reichsstadtzeit
Friedrich Nicolai (1733 bis 1811)
Schule und
Bildung sind bekanntlich Themen, von denen die ganze Gesellschaft betroffen
ist, sei es als Schüler, Elternteil oder als pädagogisch tätige Person. Dies
bringt es mit sich, dass sich viele Personen eine Erfahrungsexpertise
zuschreiben. Daher sind schulisches Personal und strukturelle Entwicklungen
wegen der überall spürbaren Auswirkungen gesellschaftlich viel diskutierte
Themen. Schule ist also stets dem kritischen Blick der Gesellschaft ausgesetzt.
Daneben gibt
es verschiedene Formen formalisierter Inspektion, die die staatliche
Schulaufsicht über eigens installierte Gremien ausübt und welche die Schulen
ebenfalls zu ständiger Weiterentwicklung anhält. Die Quellenlage in diesem
Bereich ist in der Regel umfangreich.
Für das Ulmer
Schulwesen der späten Reichsstadtzeit liegt eine interessante Quelle ganz
anderer Provenienz vor. Sie zeigt den externen Blick eines literarisch
beschlagenen und pädagogisch ambitionierten Durchreisenden, also eine Art
„Fremdevaluation“:
Der Berliner
Aufklärer Friedrich Nicolai (1733 bis 1811), Freund Lessings und Mendelssohns,
reiste 1781 durch Süddeutschland und die Schweiz und hielt seine Eindrücke und
seine aus Gesprächen gewonnen Erkenntnisse in umfangreichen Reiseberichten
fest. Zu seinen Gewährsleuten für die Ulmer Verhältnisse gehörten u. a. der
Pfarrer und Dichter Johann Martin Miller, der Buchhändler Conrad Friedrich
Köhler, aber auch der Journalist, Autor und Musiker Christian Friedrich Daniel
Schubart sowie der Ulmer Münsterprediger und Aufklärer Johannes Kern.
Nicolai ist
zwar nicht durch Abhängigkeiten oder freundschaftliche Verbindungen befangen,
bringt aber als Zentralfigur der preußischen Aufklärung bestimmte Vorstellungen
bzw. Prägungen mit, die ebenfalls seine Wahrnehmung der Ulmer
Bildungslandschaft bedingen. Der Blick Nicolais ist kritisch bis polemisch,
doch nicht unbedingt unfair: Auch positive Aspekte – im Vergleich zu anderen
Reichsstädten – oder segensreich wirkende Personen (wie Peter Miller oder
Johannes Kern) und deren Reformbestrebungen finden durchaus Erwähnung.
Wenngleich Nicolai zum Teil auf angesehene lokale Informanten zurückgreifen
kann, bleibt sein Blick doch eine Momentaufnahme, die genauso kritisch zu
hinterfragen bleibt wie etwa in anderer Hinsicht interessengeleitete lokale
Dokumente zur Ulmer Schulgeschichte.
Thomas Müller (Schubart-Gymnasium)