Die Arbeitslosigkeit in Ulm 1929 - 1933
Eine schwerwiegende Auswirkung der Weltwirtschaftskrise war das rasche Anwachsen der Arbeitslosigkeit. Sie schnellte seit Ende des Jahres 1929 sprunghaft in die Höhe. 1932 gab es in Deutschland mehr als sechs Millionen Arbeitslose bei einer Einwohnerzahl von ca. 65 Millionen. Exakte Zahlen für Ulm lassen sich aus den vorliegenden örtlichen Statistiken des staatlichen Arbeits- und städtischen Wohlfahrtsamtes allerdings nicht gewinnen, denn diese erfassten und differenzierten die Arbeitslosen lediglich nach den Kategorien der ihnen gewährten Unterstützung. Die reale Arbeitslosigkeit lag überall höher, als die Statistiken ausweisen.
Seit Einführung der Arbeitslosenversicherung 1927 zahlten Reich und Land unter bestimmten Voraussetzungen allen Arbeitnehmern eine auf 26 Wochen befristete gesetzliche Arbeitslosenunterstützung (Hauptunterstützung aus der Arbeitslosenversicherung). Ausgeschlossen von den Leistungen waren dauerhaft Arbeitsunfähige und "Arbeitsunwillige" sowie Personen, die in den letzten 12 Monaten keine 26 Wochen einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgegangen waren. An der Frage der Erhöhung der Beitragssätze um ein halbes Prozent zerbrach Ende März 1930 die Große Koalition, was bis zum Ende der Weimarer Republik zur Bildung von Präsidialregierungen ohne Vertrauen des Reichstags führte. Die Laufzeit dieser Arbeitslosenunterstützung wurde ab 15.10.1931 auf 20 Wochen gekürzt, ihre Gewährung seit Juni 1932 von periodischen Hilfsbedürftigkeitsprüfungen abhängig gemacht.
Nach Ablauf der Arbeitslosenunterstützung wurde auf Antrag Krisenunterstützung je nach Alter auf die Dauer von 32 bis 45 Wochen gewährt. Sie wurde zu 4/5 vom Reich, zu 1/5 von der Wohngemeinde finanziert. War auch diese Frist abgelaufen, fiel der Arbeitslose - jetzt "Ausgesteuerte" - der Wohlfahrtsunterstützung seines Wohnorts anheim. Den Kommunen wuchsen dadurch verstärkt Fürsorgeaufgaben zu. Im Herbst 1930 wurde ein Katalog von Maßnahmen für diesen Personenkreis der Wohlfahrtserwerbslosen aufgestellt, der Beihilfen zum Lebensnotwendigsten zum Inhalt hatte, wie die Beschaffung von Heizmaterial, Winter- und Weihnachtshilfen, Ausgabe von Lebensmittelgutscheinen, verbilligte oder kostenlose Speisungen, das Angebot öffentlicher Wärmestuben und verbilligter Wärmebäder. Die Liste der Zuwendungen verlängerte sich in der Folgezeit durch die Bereitstellung von Grundnahrungsmitteln, wie etwa Kartoffeln von den städtischen Hofgütern, durch Abgaben von Kleidern und Schuhen, durch Verbilligung der Tarife der Stadtwerke etc.
Ab Herbst 1930 wurden Wohlfahrtserwerbslose verstärkt zu Pflicht- bzw. Fürsorgearbeiten herangezogen. Unter Pflichtarbeit verstand man die Arbeitsleistung der Erwerbslosen als Gegenleistung für die ihnen gewährte Unterstützung; Fürsorgearbeit bedeutete die befristete tarifliche Anstellung von Erwerbslosen in meist unteren Lohnklassen für kommunale Bauprojekte. Die Arbeitslosen konnten auf diese Weise wieder eine Anwartschaft in der Arbeitslosenversicherung erwerben.
Nach Schaffung der gesetzlichen Grundlagen formierte sich auch in Ulm 1931 ein Freiwilliger Arbeitsdienst unter dem Namen "Max-Eyth-Kameradschaft", welcher sich besonders die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zur Aufgabe machte. Die Max-Eyth-Kameradschaft gewährte jugendlichen Arbeitslosen zwischen 15 und 25 Jahren im Rahmen einer festgesetzten Lebensordnung Verpflegung, Bekleidung und Unterkunft, ferner sportliche Erziehung und geistige Betreuung. Die Arbeitsdienstwilligen betrieben Landwirtschaft auf dem von der Stadt zur Verfügung gestellten Gut Butzental und wurden bei verschiedenen gemeinnützigen Arbeiten (z.B. Straßen- und Wegebau) eingesetzt. Nach 1933 bauten die Nationalsozialisten den Freiwilligen Arbeitsdienst nach ihren eigenen Vorstellungen zu einer Arbeitsdienstpflicht um.
Matthias Grotz (Stadtarchiv Ulm)